„Wir haben den ungarischen Geist aus der Flasche gelassen“

Ungarns Mediengesetz ist also ein kleines bisschen abgeändert worden. Das kann man als Erfolg der EU werten, deren Kontrolle anstelle der nationalen Checks and Balances treten kann, wenn diese versagen. Aber das ist nicht der Punkt. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat in dieser Woche – in Deutschland weitgehend unbemerkt – eine Rede zur Lage der Nation gehalten, die manch Interessantes zum Verfassungsprozess in Ungarn enthält. Darin benennt Orban, was es in seinen Augen ist, was da derzeit in Ungarn passiert – nichts weniger nämlich als die Wiedergeburt einer Nation: Wiedergeburt bedeutet, (…) wenn eine Nation die Welt um sich herum ... continue reading

Verfassungs-Barbarei in Budapest

Dass die Ungarn gerade im Begriff sind, in ihrem Land die Pressefreiheit abzuschaffen, ist bekannt. Weniger bekannt ist, was sonst noch so passiert im Verfassungsrecht der Magyaren. Da bleibt nämlich gerade kein Stein auf dem anderen. Buchstäblich. Und das ist nicht allein das Problem der Ungarn, sondern verheißt für alle Europäer nichts Gutes. Darüber hat mich gestern eine höchst verdienstvolle Veranstaltung an der Berliner Humboldt-Uni aufgeklärt. Christian Boulanger vom Law & Society Institute hatte zwei ungarische Rechtswissenschaftler eingeladen: Kriszta Kovácz, Beraterin des Präsidenten des ungarischen Verfassungsgerichtshofs, und Gábor Attila Tóth von der Universität Debrecen, früher ebenfalls am Verfassungsgerichtshof als Berater ... continue reading

Der neue Politikjournalismus: Nichtlinear und visuell

Es war Mitte der Neunziger. Ich hatte gerade den Beschluss gefasst, Journalist zu werden. Ich stand mit einem etwas älteren Freund zusammen, der gerade als Volontär beim Bayerischen Rundfunk genommen worden war, und wir fantasierten über unsere aufregende politische Korrespondentenzukunft: Bonn! Washington! Moskau! Als ich „Brüssel!“ einwarf, zog mein erfahrenerer Freund ein Gesicht. Ach, Brüssel, sagte er. Brüssel ist doch keine Geschichte. Jeder weiß, dass die meisten Gesetze auf EU-Ebene entstehen. In Brüssel fallen die maßgeblichen Entscheidungen. Die Politik, die dort gemacht wird, ist für Deutschland und seine Zeitungsleser von ungeheurer Tragweite. Aber Brüssel ist keine Geschichte. Wir Politikjournalisten sind ... continue reading

Journalistenschutz mit Lücken

Damit Journalisten ohne Angst vor Strafverfolgung recherchieren können, werden sie zukünftig nicht mehr wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verfolgt, wenn sie ihnen zugespielte Dienstgeheimnisse veröffentlichen. So steht es in Bundesjustizministerin LHSB’s Pressemitteilung zum heutigen Kabinettsbeschluss, das CICERO-Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Künftig soll die Staatsanwaltschaft nicht mehr die Redaktion durchsuchen dürfen, um ein Leck in der Verwaltung aufzuspüren. Die strafbewehrte Pflicht, Dienstgeheimnisse geheim zu halten, trifft nur die Beamten, nicht die Presse. Und da kann man sich auch nicht drum herum mogeln, indem man die Presse wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat versucht dranzukriegen. Klingt gut. Ich bin sehr für Schutz von Journalisten. Ich ... continue reading

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen? Gut, aber ohne GEZ

Haushaltsabgabe statt GEZ-Gebühr: Laut Spiegel hat Paul Kirchhof in einem Gutachten diesem rundfunkpolitischen Paradigmenwechsel eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt. Damit steigen die Chancen, dass die Haushaltsabgabe kommt: Künftig werden wir nicht mehr nur dann für ARD, ZDF und Deutschlandradio zahlen, wenn wir Fernseher oder Radio in der Wohnung stehen haben. Sondern einfach so, per schierer Existenz. Ob ich von dem Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Gebrauch mache oder nicht, soll keine Rolle mehr spielen. Immerhin, damit macht sich die Rundfunkfinanzierung wenigstens ehrlich: Seit jedes Smartphone ein potenzielles Empfangsgerät ist, funktioniert die Verknüpfung Empfangsgerät – öR-Nutzung – Zahlungspflicht sowieso nicht mehr. Und auch ... continue reading

Italien: Wo der Spaß aufhört

Eins muss man Silvio Berlusconi lassen: Der Mann hat Humor. Sein jüngster Schurkenstreich ist derart abgefeimt, dass ich schon fast so etwas wie Respekt empfinde. Bevor ich mir in Erinnerung rufe, dass der Typ einen der großen EU-Staaten regiert und gerade dabei ist, die Grenzen dessen zu testen, was wir in Europa noch als Demokratie bezeichnen. Berlusconis Truppen haben gerade durchgesetzt, dass die staatliche Fernsehanstalt RAI in den vier Wochen vor den Regionalwahlen am 28. März in ihren Talkshows keine einseitige politische Propaganda betreiben darf. Im Sinne der politischen Ausgewogenheit müssen, wenn man über Politik reden will, alle Parteien zu ... continue reading

ZDF-Verfassungsurteil durch staatsrechtsprofessorale Aufopferung

Wir hatten neulich anlässlich des Dramas um Koch, Brender und das ZDF gegrübelt, wie dieser verfassungsrechtlich ziemlich offenkundig zum Himmel stinkende Fall nach Karlsruhe kommen soll. Das schien gar nicht so einfach: Dem normalen Fernsehzuschauer fehlt der nötige Rechtsanspruch, in welchem ihn politisch beeinflusste Personalentscheidungen beeinträchtigen könnten. Dem ZDF fehlen die nötigen Eier. Und den Grünen fehlen offenbar die nötigen Verbündeten im Bundestag, um das Quorum für einen Normenkontrollantrag zu erreichen. Jetzt scheint der Rostocker Medienrechtler Hubertus Gersdorf aber einen Weg gefunden zu haben, eine verfassungsrichterliche Klärung zu erzwingen: Indem er einfach seine GEZ-Gebühren nicht mehr zahlt. Soll das ZDF ... continue reading

ZDF: Staatsferne – nur wie?

Zur Einstimmung in die Causa Brender ein Zitat aus dem Lebach-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Rundfunkfreiheit) ist ebenso wie die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (…) Dass Koch und Merkel offenbar völlig egal ist, was Karlsruhe da von „schlechthin konstituierend“ schwatzt, ist schon ein Vorgang. Die Verfassungsrichter lecken sich vermutlich schon die Lippen. Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Ersten Senats, hat schon im März angedeutet, dass er die parteipolitische Besetzung des ZDF-Verwaltungsrats für problematisch hält. Aber fraglich ist nicht ... continue reading