Ohrfeige im Polizeigewahrsam: Menschenwürde kennt keine Bagatellgrenze

Es ist so lange nicht her, dass der Schlag ins Gesicht des Gegenübers eine wenn schon nicht übliche, so doch im Großen und Ganzen sozial akzeptierte und respektierte Sache war. Mit einer Ohrfeige stellt die Frau ihre Ehre, mit einem Fausthieb der Mann seine Männlichkeit, und mit einem ganzen Assortissement aus Klapsen, Nasenstübern, Watschen, Kopfnüssen und weißgottnichtallem alle beide ihre Autorität gegenüber aufmüpfigen Kindern wieder her. Immer ins Gesicht musste es jedenfalls gehen, aus dem der Geschlagene gerade noch so unverschämt und rotzfrech herausgeschaut hat, anstatt, wie es sich gehört, die Augen schamvoll zu Boden zu richten. Das ist zwar heute umfassend verboten, aber wenn die Frechheit nur groß genug ist, sind wir auch heute nicht gefeit davor, das schon mal ganz in Ordnung oder zumindest verständlich zu finden, wenn da jemandem "die Hand ausrutscht". Dieser Art von klammheimlichem Verständnis hat heute die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs, zumindest was die Polizei betrifft, ein klares Ende bereitet.

Vermittlungsausschuss: BVerfG streckt die Waffen vor der Flucht ins Informelle

Jedes Verfahren zur Entscheidungsfindung kann nur entweder perfekt effizient oder perfekt legitim sein. Das Parlaments- und Staatsorganisationsrecht steckt voller Versuche, zwischen diesen beiden Polen eine prekäre Balance herzustellen: Das Repräsentationsprinzip ist so einer. Die Fünfprozentklausel ein weiterer. Das Zusammenspiel von Mehrheitsprinzip und Minderheitenrechten. Und das sind genau die Stellen, an denen das Recht nie zur Ruhe kommt und immer neue BVerfG-Entscheidungen gebiert. Ein recht aktiver Eruptionsherd dieser Art ist das Thema Vermittlungsausschuss, und der ist heute in Gestalt einer Senatsentscheidung aus Karlsruhe erneut eindrucksvoll ausgebrochen. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Im Zweiten Senat scheint unter den Kräften, die hier miteinander ringen, die Effizienz im Augenblick die Oberhand über die Legitimität zu behalten.

Straßburg zu Lampedusa: Menschenwürde muss krisenfest sein

Das Urteil kommt zur rechten Zeit: Flüchtlinge haben ein Recht auf Achtung ihrer Menschenwürde, auch wenn sehr viele in sehr kurzer Zeit ankommen und das Ankunftsland darauf sehr schlecht vorbereitet ist. Das ist die Quintessenz des heutigen Lampedusa-Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die "Krisen-" und "Notstands"-Argumente, mit denen der Aufnahmestaat sich verteidigt, mögen noch so berechtigt sein – gegen die Menschenwürde richten sie nichts aus.

Wahlrechtsausschluss für Entmündigte: Auf Polen kommt Ärger zu

Am 25. Mai 2014 wird auch in Polen die Wahl zum Europaparlament abgehalten. Menschen, die unter Vormundschaft stehen, dürfen nicht teilnehmen, weil das vom Parlament beschlossene polnische Wahlgesetz sie illegalerweise vom Wahlrecht ausschließt. Das könnte für Polen teuer werden.President of Poland Bronisław Komorowski has recently announced that the European Parliament elections would be held on 25 May 2014. Incapacitated persons won’t be able to cast their votes because the Electoral Code statute adopted by Polish Parliament has illegally deprived them of their voting rights. This may cost Poland a lot of money.

Streikverbot vor dem Bundesverwaltungsgericht: Auf dem Weg zur supranationalen EMRK?

Beamte dürfen nur noch für eine Übergangszeit generell vom Streikrecht ausgeschlossen werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27.02.2014 unter Berufung auf die EMRK und die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entschieden (Az. 2 C 1.13). Damit wird nicht nur eine über hundertjährige Tradition in Deutschland gekippt. Das Urteil aus Leipzig dokumentiert auch einen Bedeutungsverlust des Bundesverfassungsgerichts, der den Richtern in Karlsruhe alles andere als gleichgültig sein dürfte. Sie sind die eigentlichen Verlierer im institutionellen Dreiecksverhältnis zwischen Leipzig, Karlsruhe und Straßburg.

Die Krux mit der Maut

Es war inhaltlich die größte Überraschung der Koalitionsverhandlungen: EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hatte auf Anfrage aus dem Europäischen Parlament erklärt, die Einführung einer Pkw-Maut für deutsche Autobahnen bei gleichzeitiger Senkung der Kfz-Steuer sei grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar. In den Medien wurde dies schnell als „Bestätigung für Seehofer“ gewertet. Das Momentum war auf Seiten der CSU, die die Einführung einer Vignettenpflicht auf deutschen Autobahnen im Koalitionsvertrag mit CDU und SPD festschreiben lassen konnte. Die Krux liegt jedoch in den beiden dort verankerten Bedingungen: Die Maut muss europarechtskonform sein und gleichzeitig gewährleisten, dass kein Kfz-Halter in Deutschland bei Addition seiner jährlichen Kfz-Steuer und des Preises einer Jahresvignette stärker belastet wird als bisher. Geht das überhaupt? Drei Hürden stehen im Weg.It was the most surprising moment of the German coalition negotiations: EU Traffic Commissioner Siim Kallas replied to a parliamentary question as to whether Member States can introduce a charge on using their motorways and concomitantly lower the vehicle tax in the affirmative. The mass media were quick to celebrate that statement as a backing from Brussels for Bavarian Minister President Horst Seehofer who had declared a “toll for foreigners” his top priority during the campaign for last year’s national elections. The momentum was on the side of the Bavarian Conservatives who got their way in the coalition negotiations with their reluctant sister party CDU and the Social Democrats. The coalition agreement now contains a clause on introducing an obligatory vignette for using German motorways. The devil, however, lies in the conditions: Any new road charge system must, firstly, be compatible with EU law and, secondly, ensure that German car owners will not have to pay more than to date when adding their future annual vehicle tax and the price of a one-year vignette. But can you really have it both ways? There are at least three major obstacles.

Bestimmt der Schweizer Souverän, was zwingendes Völkerrecht ist und was nicht?

In der Schweiz kann man derzeit den einzigartigen Fall beobachten, dass eine Regierung ihr Volk daran zu hindern versucht, die eigenen verfassungs- und völkerrechtlichen Bindungen zu vergewaltigen. Gestern hat der Schweizer Bundesrat entschieden, die so genannte „Durchsetzungsinitiative“ nur in redigierter Form dem Parlament vorzulegen. Das ist eine Initiative der rechtspopulistischen SVP für einen Volksentscheid, der die berüchtigte „Ausschaffungsinitiative“ von 2010 noch einmal um eine Zehnerpotenz krasser machen soll. Es geht dabei darum, dass Ausländer, die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten sind, abgeschoben werden müssen, und zwar ohne viel Federlesen und Verhältnismäßigkeitserwägungen und Rechtsschutz und was der spießigen Bedenkenträgereien mehr ... continue reading

Asylschutz gilt auch (und gerade!) für offen auftretende Homosexuelle

Ein Leben als Closet Gay ist keine Fluchtalternative. Wer in seinem Land nicht homosexuell sein darf, ohne Gefängnis oder Schlimmeres befürchten zu müssen, hat in der EU ein Anrecht auf Schutz. Für die Idee, Flüchtlingen nahe zu legen, Verfolgung durch entsprechend diskretes Verhalten zu vermeiden, gibt es im Europarecht keinen Anhaltspunkt. Das hat der Europäische Gerichtshof heute entschieden und damit erneut bewiesen, dass das Asylrecht bei ihm in besseren Händen ist als bei manchem bayerischen Verwaltungsgericht. Der Fall kommt aus den Niederlanden und betrifft drei homosexuelle Männer aus Senegal, Uganda und Sierra Leone – alles Länder, wo Homosexualität mit jahre-, ... continue reading

Muss Straßburg hinter der Eurokrise zusammenkehren?

Die Eurokrise und der fürchterliche Flurschaden, den sie in Südeuropa angerichtet hat, hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, soweit ich sehe, noch nicht erreicht. Heute hat er wieder zwei Klagen von portugiesischen Beamten als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, die sich darüber beschwerten, dass man ihnen unter dem Druck der Austerity-Politik einen Teil ihrer Pensionen gestrichen hatte. Wie schon in einem entsprechenden griechischen Fall zeigt der EGMR wenig Neigung, sich schützend vor die jäh ihres Lebensstandards beraubten Staatsdiener zu werfen. Wenn der Staat bereits erworbene Pensionsansprüche zusammenstreicht, ist das zwar ein Eingriff in das Eigentumsrecht. Aber in dieses Recht kann natürlich auf ... continue reading

Same-sex Loving? Der Supreme Court nimmt zwei Fälle zur gleichgeschlechtlichen Ehe an

Der US-Supreme Court hat am 7. Dezember 2012 seine lang erwartete Entscheidung getroffen, welche der zehn ihm angetragenen Fälle zu gleichgeschlechtlichen Ehen er in dieser Sitzungsperiode hören wird. Anders als das Bundesverfassungsgericht ist der Supreme Court relativ frei darin, welche Fälle er annimmt, indem er certiorari gewährt. Nun steht fest: Hollingsworth v. Perry und U.S. v. Windsor sind es geworden. Die Fälle stehen für zwei legislative Projekte, das eine auf Staaten- und das andere auf Bundesebene: Proposition 8 und DOMA. Sie betreffen die beiden Gleichheitsklauseln in der US-Bundesverfassung und werfen grundsätzliche Fragen auf: Gibt es ein Grundrecht zu heiraten? Ist ... continue reading