EGMR: Frei von laizistischem Eifer

Ein Kruzifix im Klassenzimmer ist kein Menschenrechtsverstoß. Dies hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) festgestellt und damit die mit dem Lautsi-Kammerurteil im vorletzten Jahr entstandene Delle im Wappenschild des EGMR wieder ausgebeult. Die Kammer hatte 2009 in einer auch für EGMR-Verhältnisse außerordentlich dünn begründeten Entscheidung das obligatorische Kruzifix in italienischen Schulen für EMRK-widrig erklärt, weil der Staat damit den Schülern eine Konfrontation mit einem religiösen Symbol aufdränge und den Eltern das Recht nehme, ihre Kinder atheistisch zu erziehen. Das wird jetzt von der Großen Kammer sanft korrigiert, und zwar auf faktischer Ebene: There is no evidence ... continue reading

Ungarn: Kinderwahlrecht in die Verfassung?

Die ungarische Regierung, die mit ihrer Zweidrittelmehrheit dem Land eine komplett neue Verfassung verpassen will, hat dabei auch Innovatives im Sinn. Eine der Dinge, über die sie nachdenkt, ist die Einführung eines Extra-Wahlrechts für Eltern im Namen ihrer Kinder. Das geht aus einem Fragenkatalog hervor, den die Regierung an sämtliche Ungarn verschickt hat, um die Präferenzen der Ungarn zu ausgewählten Fragen zu ermitteln. Das allein schon ist ein eigentümliches Verfahren: Ungarns Regierungspartei FiDESZ will kein Referendum für die neue Verfassung, weil sie ihren Wahlsieg im April 2010 als hinreichende demokratische Legitimation zur Verfassungsgebung interpretiert. Dass das ein bisschen dünn ist ... continue reading

Großbritannien lehnt sich gegen EGMR auf

Wir haben ja unseren eigenen Ärger mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), in punkto Sicherungsverwahrung etwa, oder wenn es um die Frage überlanger Gerichtsverfahren geht. Aber wir versuchen nach Kräften, uns zu benehmen. Was man von den Briten derzeit nicht behaupten kann. Die steuern mit einer Stiernackigkeit auf eine Kollision mit dem Straßburger Gericht zu, die wirklich ihresgleichen sucht. Anlass des Streits ist ein Urteil der Großen Kammer von 2005, Hirst v. United Kingdom: Nach britischem Recht dürfen Strafgefangene nicht wählen. Das, so der EGMR, verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. Die Briten sind da nicht die Einzigen. Erst in den ... continue reading

Es gibt kein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern

Bei der Verhandlung in Karlsruhe zu Sicherheitsverwahrung am letzten Dienstag war viel von den Schutzpflichten des Staates die Rede. Von den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung, die die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) angeblich nicht hinreichend im Blick gehabt hätten, als sie der deutschen Praxis, gefährliche Straftäter auch nach Verbüßung ihrer Strafe einfach weiter im Knast zu behalten, vor gut einem Jahr die rechtliche Grundlage wegschlugen. Welche Wirkung dieser Schutzpflicht-Topos auf manche Politiker hat, konnte man heute bei einer Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer studieren. Bayerns Justizministerin Beate Merk war zu Gast und referierte darüber, wie das System der Sicherungsverwahrung jetzt reformiert ... continue reading

EGMR: Die Lohnsteuerkarte und die Religionsfreiheit

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird nächste Woche mal wieder Gelegenheit haben, sein laizistisches Profil zu schärfen. Am 17. Februar will der EGMR sein Urteil im Fall Wasmuth v. Deutschland verkünden. Johannes Wasmuth ist ein Münchner Anwalt, der sich viel mit Eigentums- und anderen DDR-Bewältigungsverfahren befasst hat und offenbar auch von glühender antiklerikaler Leidenschaft beseelt ist. Aus diesem Grund führte er einen Feldzug gegen die Pflicht, trotz fehlender Konfessionszugehörigkeit in der Lohnsteuerkarte den Kirchensteuerabzug eintragen lassen zu müssen – bzw. das Fehlen desselben, angezeigt durch einen kleinen Strich. Der verletzt nach Ansicht von Rechtsanwalt Wasmuth dessen negative Religionsfreiheit, weil er ... continue reading

Frankreichs Verfassung hilft Homo-Paaren nicht

In Frankreich ist Ehe rechtlich eine Sache zwischen Mann und Frau. So steht es im Code Civil, und so hat es der Cour de Cassation erst 2007 ausdrücklich bestätigt. Heute hat der französische Verfassungsgerichtshof klar gemacht, dass da auch die Verfassung nichts hilft. Grund: Die Homo-Ehe einzuführen, sei eine politische Entscheidung und entziehe sich der Kompetenz des Conseil Constitutionel. Außerdem könnten Homo-Paare nach französischem Recht auch so zusammenleben, oder wie es auf französisch so schön heißt, vivre en concubinage. Die Entscheidung ist bemerkenswert kurz und dünn, verglichen mit den Doktorarbeiten, die man gelegentlich aus Karlsruhe auf den Tisch bekommt. Mehr ... continue reading

Geschlechtsumwandlung muss auch ohne OP möglich sein

Da sind wir doch mal wieder von ganzem liberalen Herzen mit unserem lieben Ersten Senat einverstanden: Frauen mit männlichen Geschlechtsorganen müssen Frauen sein dürfen. Sie müssen mit Frauen eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft eingehen können. Und mit Männern eine Ehe. Und zwar auch ohne dass vorher jemand an ihnen herumgeschnipselt hat. (Für Männer mit weiblichen Geschlechtsorganen gilt mutatis mutandis natürlich das selbe.) Das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner nunmehr siebten Entscheidung seit 1978 zum Thema Transsexualität jetzt beschlossen. Das Transsexuellengesetz wird allmählich zu einem ähnlichen Verfassungsrechts-Dauerbrenner wie die Parteienfinanzierung oder das Rundfunkrecht. Der Hebel Homo-Ehe Der Hebel für diese x-te Reformrunde im ... continue reading

BVerfG will Sippenhaft im Ausländerrecht nicht beenden

Wenn dein Mann, dein Sohn, dein Vater etwas ausgefressen hat, dann fliegt nicht nur er raus. Sondern du auch. Das ist geltendes Ausländerrecht in Deutschland (§ 104a III AufenthG) Und nicht nur das. Das ist auch verfassungsmäßiges Ausländerrecht in Deutschland. Das Grundgesetz schützt Mitbürger ohne deutschen Pass nicht vor dieser Art von Sippenhaft. Auf diesem Standpunkt steht nicht nur das Bundesverwaltungsgericht, sondern offenbar auch das Bundesverfassungsgericht. Keine Familie, keine Probleme Nach der so genannten Altfallregelung im Aufenthaltsgesetz verlieren über viele Jahre geduldete Ausländer ihre Aufenthaltserlaubnis, wenn ein Familienmitglied, mit dem sie zusammen unter einem Dach wohnen, zu mehr als 50 ... continue reading

EGMR rügt BVerfG wegen überlanger Verfahrensdauer

Sechs Jahre sind zu lang. So lange hatte das BVerfG gebraucht, um über eine Verfassungsbeschwerde u.a. des militanten Abtreibungsgegners Klaus Günter Annen zu entscheiden. Das war im Juni 2006. Jetzt hat der EGMR ohne weitere Begründung darin eine Verletzung von Art. 6 I EMRK erkannt und Annen und seiner Mitstreiterin je 4000 Euro Entschädigung zugesprochen. Das wird die Instanzrichter freuen, die gelegentlich von Karlsruhe eins übergebraten bekommen, wenn sie für eine Entscheidung zu lange brauchen. „Babycaust“ geht nicht Herr Annen ist ein Mann, den ich in Ausübung meiner Meinungsfreiheit einen religiösen Spinner nenne, und zwar einen mit einer ziemlich ekelhaften ... continue reading

Das Zombie-Gesetz nachträgliche Sicherungsverwahrung

Es gibt nichts Gruseligeres, als wenn ein Toter immer wieder aufsteht und einem an die Gurgel will, man kann ihn umbringen, so oft man will. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist zum 1.1.2011 abgeschafft. Good Riddance: Nach dem (heute obendrein in drei Fällen bekräftigten) Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 war diese Lösung, wonach besonders gefährliche Straftäter auch nachträglich und über die Zeit ihrer Strafe hinaus in den Maßregelvollzug gesteckt werden können, kaum mehr zu halten. Kaum ist das Gesetz unter der Erde, klappt es schon wieder den Sargdeckel auf: Der EGMR hat nämlich heute sein Urteil im Fall ... continue reading