Friede auf Erden, und den Vätern ein Wohlgefallen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat heute mal wieder ein Urteil für die Geschichtsbücher gefällt. Und dabei nebenbei eine BGB-Norm in Stücke gehauen, die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts modelliert worden war. Das wird bestimmt in Karlsruhe wieder für eine prächtige Vorweihnachtsstimmung sorgen. In dem entschiedenen Fall geht es um einen nigerianischen Asylbewerber, der mit einer verheirateten Frau aus Deutschland eine Beziehung hatte und dabei Zwillinge zeugte. Vor der Geburt entschloss sich die Frau, in ihre Ehe zurückzukehren. Der Mann bekam seine Kinder nie zu Gesicht: Nach deutschem Familienrecht ist der Ehemann der Vater, wenn Kinder in einer Ehe ... continue reading

EGMR zu irischem Abtreibungsverbot: Von wegen Roe vs. Wade

Zunächst: Verfassungsblog is back. Mein Umzug ist geschafft, die nächste Zündstufe des Politikatlas-Projekts ist vorbereitet, jetzt steht dem fröhlichen Weiterbloggen (außer Weihnachten und Schneeverwehungen) erstmal nichts mehr im Wege. Zur Sache: Gestern hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil verkündet, das im Voraus von manchen (mich selbst eingeschlossen) als europäisches Gegenstück zum epochalen Urteil Roe vs. Wade des US Supreme Court hoch stilisiert wurde – jenem bis heute heiß umstrittenen Urteil aus dem Jahr 1973, das das Verbot der Abtreibung als Verstoß gegen das Recht auf Privatsphäre der Mutter brandmarkte. In dem EGMR-Fall ging es um die Situation in ... continue reading

EGMR fällt weiteres Anti-Islam-Urteil

Ein Schulbeispiel, wie der herrschende Laizismusdiskurs einen blind machen kann für die eigentliche Menschenrechts-Problematik, ist das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), Şerife Yiğit vs. Türkei. In dem Fall geht es um eine türkische Witwe, die auf Witwenrente klagt, aber abgewiesen wurde, weil sie und der Vater ihrer sechs Kinder nach religiösem Ritus geheiratet hatten und nicht nach zivilem – was in der Türkei darauf hinausläuft, dass man überhaupt nicht verheiratet ist. Der EGMR kann darin weder eine ungerechtfertigte Diskriminierung noch eine Verletzung des Rechts auf Familienleben erkennen. Dass die Türkei nach islamischem Ritus geschlossene Ehen benachteiligt, diene ... continue reading

Roma in Europa: Unser großes unerkanntes Civil-Rights-Issue

Wie Roma in Europa behandelt werden, ist ein verfassungspolitisches Thema ersten Ranges. Dieses Factsheet des EGMR, auf das ich heute gestoßen bin, zeigt das eindrucksvoll. Wir haben die komplette Palette: Straf-, polizei-, familienrechtliche Diskriminierung, Zwangssterilisation, Segregation in Schulen bis hin zu Vorfällen, die regelrecht genozidale Züge tragen. Man liest, hört und redet viel zu wenig darüber in Deutschland. Nächste Woche wird der Europarat dazu eine Ministerkonferenz abhalten. Mit von der Partie: EU-Justizkommissarin Viviane Reding, die Unerschrockene, die Sarkozy nach seiner Anti-Roma-Kampagne so knüppelhart eingeschenkt hat. Und eine üble Gestalt namens Pierre Lellouche, Europa-Staatssekretär in der Regierung Sarkozy, der zuletzt mit ... continue reading

Gleiches Recht für Väter

Elternzeit für Mütter zu ermöglichen, nicht aber für Väter ist diskriminierend und verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das ist die Quintessenz des letzte Woche ergangenen Urteils Markin vs. Russia des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und ist weniger selbstverständlich als es scheint. Der EGMR hat damit nämlich seine 1998 im Fall Petrovic eingeschlagene Linie korrigiert, wonach die Rechtslage in den Mitgliedsstaaten zu divers sei, um von einem gleichen Recht von Müttern und Vätern auf Erziehungsurlaub ausgehen zu können. „Society has moved“ Das, so der EGMR jetzt, habe sich seither geändert. Die Mehrheit der Europäischen Staaten (darunter Deutschland) gewähre Vätern und ... continue reading

Jobverlust mit 65 geht alterdiskriminatorisch in Ordnung

Am 65. Geburtstag verliert man seinen Job. Der Arbeitsvertrag endet automatisch. Denn dann soll man in Rente gehen. So steht es in vielen Tarifverträgen, und so ist das seit Menschengedenken in Deutschland üblich. Es hatte ja auch die längste Zeit niemand etwas dagegen. Wer geht schon gerne arbeiten, wenn man auch einen immerwährenden Urlaub mit schönem monatlichem Scheck der BfA genießen kann. Für viele sieht die Welt indessen heute anders aus. Die Rente reicht nicht, man muss sowieso weiter arbeiten gehen. Aber den Job, den man hatte – den ist man, Tarifvertrag sei Dank, erst mal los. Wenn das keine ... continue reading

Versicherungen dürfen ihre Welt nicht in Männlein und Weiblein sortieren

Da wird die FAZ morgen wieder fauchen. Juliane Kokott, die unerschrockene Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof, plädiert dafür, die Richtlinie 2004/113 zum Verbot von Diskrimierungen aus Gründen des Geschlechts zu kippen – weil sie diskriminierend sei aus Gründen des Geschlechts. Es geht um das ewige Streitthema Versicherungsverträge: Dürfen Versicherungen unterschiedliche Leistungen und Prämien anbieten, je nachdem, ob man männlichen oder weiblichen Geschlechts ist? Muss ein Mann mehr für eine Kfz-Versicherung zahlen als seine Frau, nur weil statistisch Männer mehr Unfälle bauen als Frauen? Darf eine Risikolebensversicherung von Frauen höhere Beiträge verlangen, nur weil statistisch Frauen eine höhere Lebenserwartung haben? Verschwurbelter Scheinkompromiss ... continue reading

Mehr Freiheit für das klerikale Liebesleben

Passend zum Juristentag hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte heute zwei Urteile gefällt, die das Thema Staat und Religion im Kern betreffen. Wie verhält sich die Autonomie der Religionsgemeinschaften, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, zu den Grundrechten der Religionsangehörigen, die von diesen Regelungen betroffen sind? Oder konkret: Darf eine Kirche, die das Sakrament der Ehe predigt, einen Angestellten feuern, wenn der die Ehe bricht? Im einen Fall ging es um den Pressesprecher der Mormonenkirche, der eine Affäre angefangen und dies gebeichtet hatte und daraufhin seinen Job verlor. Im anderen hatte ein katholischer Organist, lange nachdem er sich von seiner ... continue reading

Der Krieg der Richter findet nicht statt

Die Meuterei der nationalen Verfassungshüter gegen die Europäisierung des Rechts und ihre damit einhergehende eigene Relativierung ist vorbei. Die Rebellen aus Karlsruhe kehren reumütig zurück unter die blaue Fahne mit dem goldenen Sternenkreis. Frieden kehrt ein in Europa. Verzeihung, aber da darf man schon mal pathetisch werden bei so einer Nachricht. Ich kann gar nicht sagen, wie mich die heute veröffentlichte Honeywell-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts freut und erleichtert. Mangold, Lissabon, Kücükdeveci Zur Vorgeschichte: Der EuGH hatte 2005 das berüchtigte Mangold-Urteil gefällt und darin die Behauptung aufgestellt, Altersdiskriminierung sei in der EU schon immer verboten, als „allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“, und nicht ... continue reading

Karlsruhe flüstert ein Beschlüsschen zur Sicherungsverwahrung

Normalerweise hängt die Latte, ab wann eine Entscheidung dem Bundesverfassungsgericht eine Pressemitteilung wert ist, ziemlich niedrig. Wenn die Pressestelle mal untätig bleibt, dann handelt es sich zumeist um kursorische Nichtannahmebeschlüsse, die keinen Menschen interessieren. Die heute veröffentlichte Kammerentscheidung, einem Kinderschänder zu einer erneuten Überprüfung seiner Sicherungsverwahrung zu verhelfen, dürfte angesichts der Aktualität des Themas durchaus ein paar Leute interessieren. Der Mann war 1997 wegen Missbrauchs von Kindern in 11 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Als er die Strafe verbüßt hatte, holte die Strafvollstreckungskammer des OLG Koblenz 2001 ein externes Sachverständigengutachten ein, das ergab, dass der Täter von seiner ... continue reading