Bundesgericht pfeift „Schweizermacher“ zurück

Die Schweiz hat im Moment, wenn es um „Fremde“ geht, keine besonders gute Presse, und das Bundesgericht hat daran kräftig mitgewirkt. Ein bisschen was wett macht jetzt ein heute veröffentlichtes Urteil aus Lausanne. Dabei geht es um das Einbürgerungsverfahren, also die Arbeit jener wackeren Leute, die in den 70er Jahren der Emil-Steinberger-Film „Die Schweizermacher“ karikiert hatte. Eine vierköpfige Familie aus Weiningen im Kanton Zürich hatte die Einbürgerung beantragt und wurden daraufhin mitsamt den Kindern zu einem „Einbürgerungsgespräch“ eingeladen – in einem sehr freundlichen Schreiben, wonach das Gespräch dazu dienen solle, sich „kennenzulernen und etwas über die Beweggründe für das Einbürgerungsgesuch ... continue reading

Bestimmt der Schweizer Souverän, was zwingendes Völkerrecht ist und was nicht?

In der Schweiz kann man derzeit den einzigartigen Fall beobachten, dass eine Regierung ihr Volk daran zu hindern versucht, die eigenen verfassungs- und völkerrechtlichen Bindungen zu vergewaltigen. Gestern hat der Schweizer Bundesrat entschieden, die so genannte „Durchsetzungsinitiative“ nur in redigierter Form dem Parlament vorzulegen. Das ist eine Initiative der rechtspopulistischen SVP für einen Volksentscheid, der die berüchtigte „Ausschaffungsinitiative“ von 2010 noch einmal um eine Zehnerpotenz krasser machen soll. Es geht dabei darum, dass Ausländer, die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten sind, abgeschoben werden müssen, und zwar ohne viel Federlesen und Verhältnismäßigkeitserwägungen und Rechtsschutz und was der spießigen Bedenkenträgereien mehr ... continue reading

„Es gibt kein solidarisches Asylsystem in Europa“

Europas Innenminister ziehen nicht die richtigen Lehren aus der Katastrophe von Lampedusa: Ein legaler und sicherer Zugang zum Asylsystem in Europa tut not, sagt der Gießener Asylrechts-Experte Jürgen Bast - ebenso wie ein Resettlement-Programm für Flüchtlinge, die weder in ihrem provisorischen Aufnahmeland bleiben noch in ihr Herkunftsland zurückkehren können, und wirtschaftliche Freizügigkeit für anerkannte Flüchtlinge, um die Aufnahmeländer zu entlasten.

Der maschinenlesbare Mensch: EuGH kann kein Problem erkennen

Darf die EU mir die Pflicht zumuten, dem Staat meine Fingerabdrücke zur Verfügung zu stellen, damit er mich bei der Ein- und Ausreise besser identifizieren kann? Jawohl, das darf sie. Das hat der Europäische Gerichtshof heute festgestellt. Dass er am gleichen Tag auch die Pflicht, Lämmer und Ziegen mit Chip und Ohrknopf zu versehen, für europarechtskonform gehalten hat, ist sicher nur ein Zufall. Wenn ich einen neuen Pass beantragen will, muss ich meine Fingerabdrücke abliefern, damit diese digitalisiert und auf einem in meinem Pass integrierten Chip gespeichert werden können. Tue ich das nicht, bekomme ich keinen Pass. Das ist, wie ... continue reading

Nachdenken über van Gend en Loos: Reflexionstag beim EuGH

Wer eine Rechtsgemeinschaft gründen will, muss dafür Juristen gewinnen. Niemand wusste das besser als Michel Gaudet, von 1958 bis 1970 Generaldirektor des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission und einer der Architekten jener supranationalen Integration, die durch Recht begründet und vorangetrieben wurde. Gaudet setzte alles daran, so viele Juristen wie möglich für das Europarecht und seine Institutionen zu gewinnen. Die zunächst von vielen als esoterisch empfundene Materie sollte zum selbstverständlichen Bestandteil des professionellen Diskurses werden. Gaudet bereiste Universitäten und Gerichte, holte interessierte Rechtswissenschaftler in die Hinterzimmer des Juristischen Dienstes und stellte „seed money“ zur Gründung wissenschaftlicher Vereinigungen und Fachzeitschriften bereit. Dazu ... continue reading

Ungarn-Slowaken: Ein Hoch auf die Brückenbauer

Slowaken, die eine andere Staatsbürgerschaft annehmen oder auch nur beantragen, verlieren automatisch ihre slowakische Staatsbürgerschaft. So ist es seit letztem Jahr Gesetz in der Slowakei, und dass das so ist, hat mit dem hier schon einige Male gestreiften Thema Ungarn zu tun. Die magyarischen Nachbarn sind bekanntlich seit fast 100 Jahren von heftigen redemptionistischen Fieberschüben geschüttelt: 1919 im Vertrag von Trianon war Groß-Ungarn zerschlagen worden; weite Teile des Territoriums und Hunderttausende ethnische Ungarn wurden Nachbarländern zugeschlagen, darunter auch die Slovakei. Das ist für viele Ungarn, je nationaler, desto doller, immer noch ein Riesenproblem. National ist bekanntlich auch die gegenwärtige Fidesz-Regierung, ... continue reading

Notariat ist ein ganz normaler Dienstleistungsjob

Da lacht die Londoner City: Auch Briten dürfen in Deutschland, Frankreich und überhaupt in der ganzen EU Notardienstleistungen anbieten. Die kontinentale Gepflogenheit, den Zugang zum Notarberuf an die Staatsangehörigkeit zu knüpfen, ist mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar. Das hat nach mehr als zehn Jahren Streit der EuGH heute entschieden. Das könnte man getrost die Sorge der ansonsten ja ziemlich sorgenfrei lebenden Notare sein lassen, würde der Fall nicht ein paar sehr grundsätzliche Fragen aufwerfen. In der EU darf sich jeder EU-Bürger beruflich niederlassen, wo er will. Ausgenommen sind Tätigkeiten, die mit der „Ausübung öffentlicher Gewalt“ verbunden sind. Die Frage, die sich ... continue reading

Ruiz-Zambrano: Es lebe die Unionsbürgerschaft

Das epochale Ruiz-Zambrano-Urteil des EuGH ist, soweit ich sehe, von der deutschen Presse mal wieder weitgehend verschlafen worden. Die Süddeutsche jedenfalls hat eine winzige Notiz ganz unten in der Meldungsspalte Ausland, mehr nicht. Online finde ich auch weit und breit nichts dazu. Ruiz-Zambrano befiehlt den EU-Mitgliedsstaaten, ausländischen Eltern, deren Kinder durch Geburt in einem EU-Land dessen Staatsbürgerschaft erhalten haben, Aufenthalt und Arbeitsaufnahme zu erlauben, ganz egal, ob sie legal oder illegal ins Land gekommen sind. Denn die Kinder sind Unionsbürger, und sie wären am „tatsächlichen Genuss des Kernbestands“ dieses Rechts gehindert, wenn ihre Eltern, von denen sie abhängen, aus dem ... continue reading

Asylrecht: Karlsruhe zieht sich kreativ aus der Affäre

Das europäische Asylrecht liegt in Trümmern, und das nicht erst seit letzten Freitag, als der EGMR seinen Daumen über Dublin II senkte. Heute hat das Bundesverfassungsgericht in aller Stille sein eigenes Verfahren über die Frage, ob ein an Menschenrechte gebundener Verfassungsstaat Asylbewerber in die Flüchtlingshölle Griechenland abschieben darf, beerdigt. Begründung: Innenminister Thomas De Maizière hatte kürzlich ohnehin, wie vor ihm schon eine Reihe seiner europäischen Amtskollegen, einen Abschiebestopp nach Griechenland verhängt. Damit, so der Zweite Senat, habe das Verfahren seine „allgemeine Bedeutung verloren“: Die im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen lediglich abstrakt zu klären, ist nicht angezeigt. Dabei ist zu ... continue reading

BVerfG will Sippenhaft im Ausländerrecht nicht beenden

Wenn dein Mann, dein Sohn, dein Vater etwas ausgefressen hat, dann fliegt nicht nur er raus. Sondern du auch. Das ist geltendes Ausländerrecht in Deutschland (§ 104a III AufenthG) Und nicht nur das. Das ist auch verfassungsmäßiges Ausländerrecht in Deutschland. Das Grundgesetz schützt Mitbürger ohne deutschen Pass nicht vor dieser Art von Sippenhaft. Auf diesem Standpunkt steht nicht nur das Bundesverwaltungsgericht, sondern offenbar auch das Bundesverfassungsgericht. Keine Familie, keine Probleme Nach der so genannten Altfallregelung im Aufenthaltsgesetz verlieren über viele Jahre geduldete Ausländer ihre Aufenthaltserlaubnis, wenn ein Familienmitglied, mit dem sie zusammen unter einem Dach wohnen, zu mehr als 50 ... continue reading