BVerfG: Lebenslang in der Türkei ist unmenschlich

Auslieferungen von Straftätern sind eine heikle Sache, wenn im Auslieferungsland nach Maßstäben bestraft wird, bei denen es uns schaudert. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem eben veröffentlichten Beschluss das OLG Hamm zurückgepfiffen und einen mutmaßlichen PKK-Funktionär vorläufig vor der Auslieferung in die Türkei bewahrt. Den Mann hätte dort eine „erschwerte“ lebenslange Freiheitsstrafe erwartet – also wirklich Knast bis zum Tod, der nur für den Fall Aussicht auf Freilassung lässt, dass der Häftling ohnehin schon im Sterben liegt. „Eine Strafe ist allerdings auch unter Berücksichtigung des im völkerrechtlichen Verkehr grundsätzlich gebotenen Respekts vor einer fremden Rechtsordnung dann grausam und erniedrigend, wenn sie ... continue reading

Moscheen filzen in Niedersachsen

Im Land Niedersachsen ist es offenbar seit langem geübte Praxis, gelegentlich Moscheen nach dem Freitagsgebet abzuriegeln und die Moscheebesucher zu kontrollieren. Ohne Verdacht, einfach so. So will man einen Terroristen fangen auf diese Weise. Hat man zwar noch nie. Aber kann ja noch passieren. Jetzt erregt diese Praxis allerdings selbst in den USA Aufmerksamkeit. Dort passieren bekanntlich in punkto Terrorbekämpfung noch ganz andere Dinge. Dennoch findet selbst Eugene Volokh, bestimmt kein liberales Weichei: That seems like unjustifiable religious discrimination, and also not particularly helpful in catching terrorists, especially when done “routinely.” Nor is it easily justifiable, I think, as a ... continue reading

Irland: Verfassungsbigotterien

Mit Iren kann man viel Spaß haben. Aber seit 1. Januar hat der Spaß ein Ende, jedenfalls was den Allmächtigen betrifft. Seit Jahresbeginn ist in Irland ein Gesetz in Kraft, das Gotteslästerung mit einer Strafe von bis zu 25.000 Euro bedroht. Das Abgefahrene daran ist: Niemand will dieses Gesetz. Selbst der irische Justizminister Dermot Ahern, der es entworfen und durchgesetzt hat, beteuert, dass er den Straftatbestand am liebsten abschaffen würde. Das Kreuz Problem ist die irische Verfassung. Die gewährt, wie jede vernünftige Verfassung, Meinungsfreiheit, allerdings mit folgendem kleinen Zusatz: The publication or utterance of blasphemous, seditious, or indecent matter is ... continue reading

Wenn Staatsanwälte Beweise fälschen

Heute ist wieder einer dieser supergruseligen US-Fälle entschieden bzw. eben gerade nicht entschieden worden, bei denen man sich nur schaudernd abwenden kann – und hoffen, dass dergleichen bei uns nie passiert: Terry Harrington und Curtis McGhee, zwei schwarze Teenager, waren 26 Jahre hinter Gittern gesessen wegen eines Mordes, den sie nicht begangen hatten und der ihnen von Strafermittlern, die dringend eine Verurteilung brauchten, mit falschen Zeugen angehängt worden war. Als das herauskam, wollten sie Schadensersatz von den schuldigen Staatsanwälten haben. Polizisten, die Beweise fälschen, können unter Umständen dafür zivilrechtlich haftbar gemacht werden – Staatsanwälte bislang nicht. Das ist weniger bizarr ... continue reading

Der nächste Hammer vom EGMR

Das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft zwar die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht unmittelbar: Es geht nicht um den Fall, dass die Sicherungsverwahrung erst nachträglich angeordnet wird, um einen gefährlichen Straftäter nicht freilassen zu müssen. Sondern es geht um den Fall, dass die schon im Urteil angeordnete Sicherungsverwahrung nachträglich verlängert wird, nachdem zwischenzeitlich die Höchstdauer von 10 Jahren gesetzlich abgeschafft wurde. Aber ich kann nicht erkennen, wie nach diesem Urteil die nachträgliche Sicherungsverwahrung – ausgenommen vielleicht bei zu lebenslanger Haft Verurteilten – noch Bestand haben könnte. Es geht um einen Gewaltverbrecher, der seit seinem 15. Lebensjahr fast durchgängig hinter ... continue reading

Die Verhandlung des Jahres: Vorratsdatenspeicherung

Das Jahr ist fast rum, aber heute, kurz vor den Weihnachtsferien, gibt es noch mal einen echten verfassungspolitischen Höhepunkt: die Verhandlung zur Vorratsdatenspeicherung, die in dieser Minute vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beginnt. Das wird so oder so ein Markstein in der Verfassungsgeschichte Deutschlands, sogar Europas. Ich bin nicht dabei, was ich sehr bedaure. Immerhin, der AK Vorratsdatenspeicherung twittert live. Aber das ersetzt nicht den unmittelbaren Eindruck, was die Richter interessiert, was sie problematisieren und was nicht und wie sie auf die jeweiligen Argumente reagieren. Apropos dabei sein können: Fällt jemandem ein gutes Argument ein, warum die mündlichen Verhandlungen vor ... continue reading

Lebenslang ist nicht unmenschlich

Das deutsche Strafrecht ist menschenrechtskonform. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Klage eines Dreifach-Mörders zurückgewiesen, der mehr als 20 Jahre nach seiner Verurteilung in einem deutschen Gefängnis einsitzt und offenbar wenig Aussicht hat, jemals freizukommen. Da dabei dennoch eine Überprüfung rechtlich möglich sei, liege keine Verletzung von Art 3 EMRK („Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden“) vor, so der EGMR laut Pressemitteilung.

Israels Oberstes Gericht verbietet private Gefängnisse

Hessens MP Roland Koch fand das bekanntlich eine prima Idee: Leute einsperren gleichsam als Dienstleistung, die der Staat bei privaten Unternehmern einkauft. Jetzt hat der Oberste Gerichtshof von Israel dergleichen als Verstoß gegen die Grundrechte der Gefangenen untersagt. Das Urteil gibt es nur auf hebräisch, aber laut JURIST-Blog verletzt die Übertragung der Rechtsdurchsetzungsgewalt auf profitorientierte Unternehmen the constitutional rights to personal freedom and human dignity rooted in Israel’s Basic Law: Human Dignity and Freedom. Auf der Website des israelischen Obersten Gerichtshof steht als Motto ein Vers aus Jesaia I: „Zion will be redeemed with justice, and her captives with righteousness.“ ... continue reading

Epochales Urteil: Das Grundgesetz als Anti-Nazi-Verfassung

Der heutige Posthum-Beschluss des BVerfG zur Verfassungsbeschwerde des toten Nazi-Rechtsanwalts Jürgen Rieger wird in die Geschichte eingehen. Er reiht sich ein in die große Ahnenreihe KPD, Lüth, Deutschlandfernsehen, Spiegel. Ich verneige mich vor diesem Richterspruch. Was ist geschehen? Es geht um eine NPD-Demo in Wunsiedel, wo der „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Hess begraben ist. Diese wurde verboten mit Verweis auf den neuen, 2005 erlassenen § 130 IV StGB: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische ... continue reading