EMRK kann zum Völkerrechtsbruch zwingen

Wenn der UN-Sicherheitsrat einem europäischen Staat befiehlt, gegen die Europäsche Menschenrechtskonvention zu verstoßen – darf dieser das dann machen? Und wenn, kann ihn der EGMR in Straßburg dann deswegen verurteilen? Anders als der EuGH hatte der EGMR bislang die größte Mühe, diese Fragen halbwegs konsistent mit einem kräftigen Ja zu beantworten. Nach Al-Jedda 2009 und Nada 2012 hat der EGMR heute erneut einen Schritt in diese Richtung unternommen – wenn auch vorerst nur auf Kammerebene und mit einer zutiefst zerstrittenen Richterbank. Inhaltlich scheint mir aber diese Entscheidung, wenn sie Bestand hat, ziemlich einschneidend zu sein. Es geht in dem Fall ... continue reading

Bestimmt der Schweizer Souverän, was zwingendes Völkerrecht ist und was nicht?

In der Schweiz kann man derzeit den einzigartigen Fall beobachten, dass eine Regierung ihr Volk daran zu hindern versucht, die eigenen verfassungs- und völkerrechtlichen Bindungen zu vergewaltigen. Gestern hat der Schweizer Bundesrat entschieden, die so genannte „Durchsetzungsinitiative“ nur in redigierter Form dem Parlament vorzulegen. Das ist eine Initiative der rechtspopulistischen SVP für einen Volksentscheid, der die berüchtigte „Ausschaffungsinitiative“ von 2010 noch einmal um eine Zehnerpotenz krasser machen soll. Es geht dabei darum, dass Ausländer, die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten sind, abgeschoben werden müssen, und zwar ohne viel Federlesen und Verhältnismäßigkeitserwägungen und Rechtsschutz und was der spießigen Bedenkenträgereien mehr ... continue reading

Transnationales Staatshaftungsrecht? Kundus vor Gericht

Nächste Woche beginnt vor dem Landgericht Bonn die Beweisaufnahme in der Verhandlung über die Schadensersatzklagen der Opfer des Kundus-Angriffs. Nur wenige Wochen zuvor hat das Bundesverfassungsgericht seine Kammerentscheidung zu den Verfassungsbeschwerden der Opfer der Bombardierung der Brücke von Varvarin im Kosovo-Krieg veröffentlicht. Zwar hat die Erste Kammer des Zweiten Senats die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, aber sie hat doch einige entscheidende Hinweise zur Kontur eines transnationalen Staatshaftungsrechts gegeben. Vor dem Landgericht Bonn wird sich zeigen, wie die Zivilgerichte dies aufnehmen werden.

„Not universal, but all over the place“: Zur Globalität der Geschichte des Völkerrechts

Eine Weltgeschichte des Völkerrechts: Da steckt gleich eine Handvoll höchst spannungsvoller Differenzen drin – global/eurozentrisch, universal/partikulär, Recht/Geschichte, normativ/faktisch, rationalistisch/empirisch, you name it. An Spannung hat es denn auch nicht gefehlt beim jüngsten Rechtskulturen-Workshop anlässlich der Veröffentlichung des von Anne Peters und Bardo Faßbender herausgegebenen Oxford Handbook of the History of International Law. Einig waren sich alle, dass es ein höchst lobenswertes Unterfangen ist, die Völkerrechtsgeschichte aus ihrer eurozentrischen Perspektive befreien zu wollen. Aber das war es dann auch schon wieder mit der Einigkeit. Was ist das Völkerrecht? Ist das die große universelle Über-Rechtsordnung, die das friedliche Miteinander der vielen partikularen ... continue reading

EuGH korrigiert strikte Linie der ersten Instanz zu Anti-Terrorlisten

Der EuGH hat heute zwei Entscheidungen veröffentlicht, an denen Eric Posner und andere Apologeten einer entfesselten Exekutive ihre Freude haben dürften. Es geht um das Einfrieren des Vermögens potenzieller Terror-Unterstützer und anderer Leute, die man aus mehr oder weniger guten Gründen für Schurken hält. Das ist ein Freiheitseingriff, wie man ihn unterhalb der Schwelle körperlicher Züchtigung sich kaum drastischer vorstellen kann. Man verliert jede wirtschaftliche Bewegungsfreiheit. Man wird quasi selber bei lebendigem Leib ökonomisch eingefroren. Und dafür reicht schon ein bloßer Verdacht. Bis vor einigen Jahren erfuhr man womöglich noch nicht einmal, aus welchen Gründen man auf die schwarze Liste ... continue reading

Ach, Obama …

Vor vier Jahren sprach ich am Tag nach der Präsidentschaftswahl in New York mit einigen  amerikanischen Völkerrechtlern. Vor der Wahl hatte sich Barack Obama 2008 deutlich zum Völkerrecht bekannt: Die Verbreitung und Einhaltung seiner Normen liege im Interesse amerikanischer Politik. Auf Nachfrage der American Society of International Law hatte Obama die Bedeutung der Genfer Konventionen betont, die als fundamentale Garantien auch im Kampf gegen den Terrorismus uneingeschränkt Anwendung finden müssten: „Wenn wir unsere eigenen Standards erhöhen, bringen wir nicht nur unsere Verbündeten wieder an unsere Seite – wir festigen auch unsere Position in der Welt und unsere moralische Autorität.“ Doch ... continue reading

Der völkerrechtliche PISA-Schock und seine Folgen

Als 2001 die OECD ihre erste PISA-Studie veröffentlichte, fiel nur wenigen Staats- und Völkerrechtlern ein, die Erforschung und wissenschaftlichen Einordnung dieses Vorgangs könnte sie etwas angehen. Armin von Bogdandy kam auf diese Idee, als er merkte, welch einschneidende Folgen PISA für sein ganz privates Familienleben hatte: „Bei Bogdandys wurde am Sonntag Mathe gelernt.“ Wie kommt eine bloße politikvergleichende Studie dazu, in der gesamten deutschen Bildungspolitik das Unterste zuoberst zu kehren? Was geschieht da? Wer handelt da überhaupt? Mit welcher Legitimation? Fragen wie diese könnte man zu sehr vielen Phänomenen internationaler oder globaler Politikbeeinflussung und -gestaltung stellen. Das Forschungsprojekt „International Public ... continue reading

Der europäische Bundesstaat: Das Grundgesetz hätte nichts dagegen

Seit dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Vorstellung in der Welt, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbiete, in einen europäischen Bundesstaat einzutreten. Wer das glaubt, muss aber die Frage beantworten, wie sich diese Überzeugung mit der Präambel des Grundgesetzes verträgt. Und die Antwort kann eigentlich nur eine sein: überhaupt nicht. 1. “Die Präambel charakterisiert das Wesen des Grundgesetzes”, sagte Carlo Schmid, Generalbericht in der Zweiten Sitzung des Plenums des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948. Das heißt: Das ganze GG ist vom Geist der Präambel durchdrungen und muss entsprechend ausgelegt werden. Die Präambel sieht vor, dass Deutschland ein “gleichberechtigtes ... continue reading