… wenn auch bisher nur auf ungarisch. Am 15. März soll er ins Parlament eingebracht (und dort dann wohl mit der Zweidrittelmehrheit der nationalkonservativen Regierungskoalition aus Fidesz und Christdemokraten verabschiedet) werden.
Was ich über Google-Translator und einigen Tipps von Kennern dieser schwierigen Sprache bisher über den Inhalt herausfinden konnte (wenn ich was falsch verstanden habe, bin ich für jeden Hinweis dankbar):
Da ist zunächst eine ziemlich barocke Präambel voller Referenzen auf die 1000-jährige Geschichte Ungarns, auf den heiligen Stephan und die Einheit der ungarischen Nation:
- Der erste Satz der Verfassung, noch vor der eigentlichen Präambel, lautet „Gott segne die Ungarn“.
- Das Christentum wird hervorgehoben, aber durch eine Würdigung der „verschiedenen religiösen Traditionen des Landes“ relativiert.
- „Wir versprechen, die in den Stürmen des letzten Jahrhunderts zerrissene Nation in geistiger Einheit zu erhalten“: Im günstigeren Fall ein Versprechen, sich kulturell um die Auslandsungarn zu kümmern, im ungünstigeren Fall ein Angriff auf die territoriale Integrität aller Nachbarstaaten mit ungarischstämmigen Minderheiten.
- „Die Heilige Krone Ungarns verkörpert die Kontinuität der verfassungsmäßigen Regierung“: Wozu eine säkulare Republik eine Heilige Krone braucht, ist mir vollkommen schleierhaft, aber dahinter verbirgt sich wohl allerhand symbolische Aufladung, die man (harmlos) als eine Art historisch-sentimentale Verfassungsfolklore oder (überhaupt nicht harmlos) als versteckt-implizite Anrufung des Fortbestehens des ungarischen Königreichs unter Einschluss der heute slowakischen, rumänischen bzw. serbischen Gebiete verstehen kann.
- Andere Passagen, z.B. die zu den NS- und kommunistischen Diktaturen oder die zur „geistigen und geistlichen (!) Erneuerung“, kommen bei Google leider nur als Sprachrührei rüber, daher kann ich dazu wenig sagen. Wer sich an einer Ad-Hoc-Übersetzung versuchen möchte, täte mir einen großen Gefallen.
Zur Gesellschaftsordnung:
- In Art. K heißt es: „Ungarn verteidigt die Institution der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau“ und bezeichnet die „Familie als Grundlage der Nation“. Was daraus juristisch folgt, ist allerdings die Frage. Kann man die Ehe zwischen Mann und Frau verteidigen und gleichzeitig die Homo-Ehe einführen? Ich sage: Klar kann man.
- Art. O enthält ein Staatsziel Umweltschutz und – Kuriosum – ein Bekenntnis zur „Gebärdensprache als Teil der ungarischen Kultur“
Zum Verfassungsrecht selbst:
- Art. Q enthält in Absatz 3 eine erstmal sonderbar erscheinende Regelung, was aber vielleicht nur an der Übersetzung liegt: Da scheint es irgendwie darum zu gehen, dass die Verfassung unter „Einbeziehung des nationalen Glaubensbekenntnisses und der historischen Leistung“ auszulegen sei. Was soll das denn um Himmels willen bedeuten?
- Art. R: Eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten reicht zur Annahme und Änderung der Verfassung. Das heißt zum einen, dass die Regierungskoalition erstmal weiter verfassungsrechtlich tun kann, was sie will. Andererseits ist die Idee, dass nur eine Zweidrittelmehrheit in zwei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden die Verfassung ändern kann, offenbar vom Tisch.
Zu den Grundrechten:
- Art. II: Gleich nach dem Schutz von Leben und Menschenwürde folgt als Definition, dass das Leben der Ungeborenen „von der Empfängnis an“ geschützt ist. Auch hier scheint mir nicht unbedingt ein Verbot der Abtreibung daraus folgen zu müssen.
- Art. VII: Meinungs- und Pressefreiheit sind garantiert, aber in punkto Medienaufsicht unter Gesetzesvorbehalt gestellt.
- Art. X, XI: Es gibt ein Recht auf Bildung und eins auf Arbeit.
- Ansonsten scheint mir auf den ersten Blick eigentlich alles drin zu sein, was reingehört – wobei man mit dieser Übersetzung kaum sagen kann, wie hart die einzelnen Grundrechte beschaffen sind.
- Ein echter Hammer ist Art. XXI, das tatsächlich Familien mit Kindern bei Wahlen eine zusätzliche Stimme gibt (warum ich das für einen undemokratischen Blödsinn halte, hier).
Zum Staatsorganisationsrecht:
- Gleich am Anfang in Art. C 1 ist das Prinzip der Gewaltenteilung niedergelegt – was etwas in Kontrast zur gegenwärtigen praktischen Politik von Fidesz steht.
- Es bleibt bei einem Einkammersystem.
- Art. 24 IV: Es bleibt offenbar dabei, dass das Verfassungsgericht nicht in vollem Umfang die Verfassungsmäßigkeit von Haushalts- und Steuergesetzen überprüfen darf. Diese Kompetenz hatte die Fidesz-Mehrheit dem Gericht entzogen, nachdem es ein Fidesz-Gesetz zur Einführung einer rückwirkenden Strafsteuer für Empfänger öffentlicher Leistungen für verfassungswidrig erklärt hatte.
- In Art. 37 gibt es eine sehr stramme Schuldenbremse.
So viel jetzt mal nach sehr oberflächlicher und auf krudest übersetztem Text beruhender Durchsicht des Entwurfs. Das Ding scheint mir jedenfalls nicht offensichtlich und ausschließlich des Teufels – sehr abhängig davon, wie damit praktisch umgegangen wird.
Aber ich bin gespannt auf weitere Aufklärung. Wer ungarisch kann, möge dazu beitragen!
Update: Interessantes Interview mit dem Vorsitzenden des dreiköpfigen Redaktionsausschusses, der den Verfassungsentwurf entworfen hat, Jószef Szájer (Fidesz) bei EurActiv.
Update: Übersetzung der Präambel hier. Das mit dem „Glaubensbekenntnis“ scheint tatsächlich kein Missverständnis zu sein. Ein „nationales Glaubensbekenntnis“ als Präambel der Verfassung. Brrr…
Die Bezugnahme auf das Christentum ist auch nicht ohne, anders als gestern vermutet: Das Christentum wird als „die Nation erhaltende Kraft“ bezeichnet; alle anderen religiösen Traditionen sind halt auch irgendwie da und man verspricht, ihnen nichts Böses anzutun.
Das „Karpatenbecken„, dessen „Werte“ zu pflegen diese Verfassung den Ungarn aufgibt, scheint mir ein ziemlich unverhohlener Bezug auf Groß-Ungarn zu sein.
„Wir bekennen uns dazu, dass die wichtigsten Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens die Familie und die Nation sind, die Grundwerte unserer Zusammengehörigkeit sind Treue, Glaube und Liebe.“ Ohne Worte.
(c) Ben Hurwitz, Flickr Creative Commons
