5. August 2011

Maximilian Steinbeis

Ungarn: Zeit, die Handschuhe auszuziehen

Wie viel Schulden ein Staat aufnehmen soll, ist eine der zentralen politischen Fragen unserer Zeit. Man kann da sehr unterschiedlicher Meinung sein, wie man in den USA derzeit sieht. Man kann und sollte darüber hitzig diskutieren, sich nichts schenken, den anderen mit allen Mitteln des politischen Meinungsstreits attackieren, denn es geht um sehr viel.

Aber ihn ins Gefängnis werfen?

Ungarns Regierung, bekannt durch ihren sonnigen verfassungspolitischen Humor, will erreichen, dass die Politiker, die für die gestiegene Staatsverschuldung verantwortlich sind, nämlich die sozialistischen Ministerpräsidenten Medgyessy, Gyurcsány und Bajnai, bestraft werden. Nulla poena sine lege? Denen doch egal. Wird der Straftatbestand halt rückwirkend eingeführt. Staatsverschuldung, so wird der ungarische Regierungssprecher zitiert, sei ein „politisches Verbrechen“.

Politisches Verbrechen? Rückwirkendes politisches Strafrecht? Da kommt sogar die FAZ-Politikredaktion, die bisher Viktor Orbán noch jede Schurkerei als antikommunistisch und damit im Grunde edel verzieh, ins Nachdenken.

Wo liegt jetzt bitte noch mal genau der kategoriale Unterschied zwischen Orbán und den verschiedenen Diktatoren des 20. und 21. Jahrhunderts, mit denen er schon angeblich so ungerechterweise verglichen wurde? Warum bitte soll es noch mal Pflicht jedes vernünftigen demokratischen Beobachters sein, die Vorgänge in Ungarn „unaufgeregt“ und „ausgewogen“ zu betrachten und zu kommentieren?

Leute, es ist Zeit, die Handschuhe auszuziehen. Ich weiß, das ist damals nicht gut gelaufen, als wir in der EU die Österreicher wegen ihrer FPÖ-Minister sanktionieren wollten. Aber das hier ist ein Vorgang von anderem Kaliber.

Update: Ungarn und Ukraine fangen beide mit U an. In der Ukraine steht die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (die mit dem Zopf) derzeit vor einem Strafgericht, weil sie u.a. einen Gaslieferungsvertrag mit Russland „zum Nachteil der Ukraine“ ausgehandelt haben soll. Sie sitzt jetzt schon mal im Gefängnis, gemeinsam mit acht weiteren früheren Regierungsmitgliedern.

Muss ja nicht immer Putin sein, wenn man nach Vergleichsmaßstäben zur Beurteilung dessen, was da in Viktor Orbáns Ungarn stattfindet, sucht. Es gibt in Osteuropa durchaus noch andere Möglichkeiten.

Foto: Steve Maw, Flickr Creative Commons

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