Rüstungsexporte nach Israel dürfen nicht genehmigt werden. Das ist der Tenor eines Urteils des niederländischen Berufungsgerichts in Den Haag vom 12. Februar diesen Jahres, das der niederländischen Regierung aufträgt, den Export von Bauteilen für F-35 Kampfjets nach Israel zu untersagen (dazu hier und hier).
Auch deutsche Kriegswaffenexporte nach Israel verstoßen gegen völkervertragsrechtliche Normen. Sie sind außenpolitisch bedenklich und sollten im Einklang mit nationalem Außenwirtschaftsrecht nicht aufrechterhalten werden.
Während Waffenausfuhren nach Saudi-Arabien und auch die Exporte in die Ukraine weitgehend medial beachtet und problematisiert werden (stellvertretend hier und hier), findet ein entsprechender Diskurs über Israel nur rudimentär statt. Das verwundert angesichts des Rekordhochs, das der Rüstungsexport nach Israel im vergangenen Jahr erlebte.
Der überwiegende Teil der Genehmigungen erging in Reaktion auf den menschenverachtenden Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Während jedoch der Waffenexport nach Israel aus Deutschland zunimmt, hat das Ausmaß der israelischen Reaktion in anderen europäischen Staaten für eine restriktive Haltung gesorgt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts Den Haag steht hier nicht allein: Eine belgische Regionalregierung hat unter Hinweis auf den Beschluss des IGH vom 26.01.2023 Waffenexporte nach Israel suspendiert. Italien liefert aus „Sorge vor Kriegsverbrechen“ seit Kriegsbeginn keine Waffen mehr. Und selbst der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell hatte jüngst (wenn auch kryptisch) gefordert, dass in Anbetracht der unverhältnismäßigen Kriegsführung weniger Waffen nach Israel gelangen müssten.
Deutschland sollte sich hier einreihen, um seine völkerrechtliche und außenpolitische Glaubwürdigkeit zu bewahren. Das Außenwirtschaftsrecht erlaubt und gebietet eine zurückhaltende Genehmigungspraxis.
Wann werden Waffenexporte genehmigt…
Ob Waffenexporte aus Deutschland zulässig sind, hängt vorbehaltlich weiterer Abstufungen innerhalb der jeweils anzuwendenden Vorschriften zuvorderst von der Unterscheidung zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ab. Für alle Rüstungsgüter, also auch für Kriegswaffen, sind bei der Ausfuhr zunächst die Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) zu beachten. Das hier errichtete präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt wird für Kriegswaffen zu einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt verschärft. Mit anderen Worten: Der Kriegswaffenexport ist im Grundsatz nicht nur genehmigungsbedürftig, sondern verboten und nur im atypischen Ausnahmefall zu gestatten. Dem entspricht das Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) (s. auch Rn. 41), das den Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 2 GG umsetzt und einen Genehmigungsvorbehalt der Bundesregierung – in der Praxis vornehmlich das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), § 11 Abs. 2 Nr. 4 KrWaffKontrG, oder aber der Bundessicherheitsrat – für die Ausfuhrgenehmigung zugunsten eines Exporteurs vorsieht. Die speziellen Regelungen zu Kriegswaffen stehen im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.
…und wann müssen sie versagt werden?
6 KrWaffKontrG regelt die Versagung der Exportgenehmigung von Kriegswaffen. Da ein Anspruch auf die Genehmigung (aus guten Gründen) nicht vorgesehen ist, kann der Antrag eines Exporteurs jederzeit abgelehnt werden. § 6 Abs. 2 KrWaffKontrG stellt mit exemplarischen Fallbeispielen klar, wann eine Versagung dem Ermessen der Behörde überlassen wird. Im Gegensatz dazu formuliert § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG zwingende Versagungsgründe. Wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden (Nr. 1), Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde (Nr. 2) oder Grund zu der Annahme besteht, dass eine der in Absatz 2 Nr. 2 genannten Personen die für die beabsichtigte Handlung erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt (Nr. 3), müssen die Genehmigungen versagt werden.
Was bedeutet das für den konkreten Anwendungsfall?
Von den Rüstungsgütern, die Deutschland 2023 nach Israel ausgeführt hat, waren Güter im Wert von 20 Millionen Euro (Panzerabwehrwaffen und Munition) den Kriegswaffen i.S.d. KrWaffKontrG zuzuordnen. Angesichts der wachsenden Zweifel an der Völkerrechtskonformität der israelischen Militärkampagne in Gaza stellt sich nun die Frage: Hätten die entsprechenden Genehmigungen eigentlich versagt werden müssen? Oder müssten zumindest zukünftige Kriegswaffenexporte an Israel versagt werden?
6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG spricht von Verletzungen völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik oder der Erfüllungsgefährdung. Die Norm erfasst damit alle vertraglichen Pflichten ebenso wie universell geltendes Völkergewohnheitsrecht, Art. 25 GG, Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut. Eine solche Verpflichtung könnte sich, parallel zum Urteil des Berufungsgerichts Den Haag, insbesondere aus dem Arms Trade Treaty (ATT) ergeben. Deutschland ist, wie die Niederlande, Vertragspartei.
Gescheiterte Risikoabwägung
Art. 7 ATT, auf den das niederländische Urteil abhebt, statuiert eine Untersuchungspflicht: Der exportierende Staat muss unter Berücksichtigung „aller relevanter Faktoren“ prüfen, ob „Potential“ besteht, dass mit den Waffen bestimmte Völkerrechtsverletzungen wie schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte begangen oder erleichtert werden, Art. 7 Abs. 1 (b) ATT. Ergibt die Risikoanalyse das „eindeutige Risiko“ („overriding risk“) einer Verletzung, muss jegliche Genehmigung versagt werden, Art. 7 Abs. 3 ATT. Die Bewertung des Risikos bemisst sich dabei anhand einer objektiven, auf das „betreffende Risiko“ abstellenden Analyse. In die Bewertung werden nach deutscher und wohl auch europäischer Lesart folglich keine äußeren „Kompensationsfaktoren“, etwa die antizipierte Herstellung von Frieden und Sicherheit, einbezogen (Rn. 7.92 f.; S. 9 f.). Dass eine regelmäßige Neubewertung bei sich ständig ändernden Konfliktsituationen unausweichlich ist, hat das niederländische Gericht unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 7 ATT sowie Art. 2 Abs. 2 lit. c) des Gemeinsamen Standpunktes der EU zu Rüstungskontrollen, der ebenfalls eine Risikoabwägung vorsieht, entschieden (sehr informativ dazu León Castellanos-Jankiewicz).
Ob die deutsche Regierung eine derartige Analyse anhand „aller relevanter Faktoren“ durchgeführt hat, kann bezweifelt werden: Zu den Faktoren zählen nicht nur Beteuerungen der Israeli Defense Forces, sondern in gleichem Maße UN-Berichte, wie sie auch der IGH oder das niederländische Gericht herangezogen haben und die ein erschreckend konkretes Bild zeichnen. Die hohen Opferzahlen in Gaza, eine nahezu vollkommen zerstörte Infrastruktur, Berichte über Angriffe auf zivile Einrichtungen und Zivilisten sowie die Behinderung von und Angriffe auf Hilfskonvois legen nicht nur nahe, dass grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte in Gaza kaum noch Beachtung finden; sie sind Symptome eines eindeutigen Risikos i.S.d. Art. 7 Abs. 3 ATT. Der pauschale Verweis auf die Hamas-Taktik „menschlicher Schutzschilde“ kann nicht über das Erfordernis verhältnismäßiger Zielauswahlen im humanitären Völkerrecht hinweghelfen. Auch wenn je nach Einzelfall entschieden werden muss, ist die Risikoabwägung davon unabhängig und setzt gerade keine abschließende Feststellung voraus. Die Bewertung eines „eindeutigen Risikos“ bezieht sich auf das „Potential“ gem. Art. 7 Abs. 1 ATT und damit auf die Wahrscheinlichkeit, dass mit den gelieferten Waffen die aufgeführten Völkerrechtsverstöße begangen oder erleichtert werden.
Deutsche Waffenlieferungen orientieren sich nicht an diesem Risiko und verstoßen gegen Art. 7 Abs. 1, 3 & 7 ATT und Art. 2 Abs. 2 c) des Gemeinsamen EU-Standpunktes. Solange das Risiko fortbesteht, müssen Genehmigung für künftige Exporte gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG versagt und bereits erteilte Genehmigungen gem. § 7 Abs. 2 KrWaffKontrG zwingend widerrufen werden.
Nicht besser gewusst?
Während Art. 7 ATT die Pflicht zur objektiven Untersuchung festlegt, die in einem Exportverbot münden kann, bestimmt Art. 6 Abs. 1 ATT ein unbedingtes Ausfuhrverbot. Voraussetzung ist das „Wissen“ („knowledge“) über Völkerrechtsverletzungen, die mit den Waffen begangen werden. Inwieweit Wissen hier als reine Informationserkenntnis und ihre (korrekte) Verarbeitung verstanden werden muss ist nicht eindeutig. Jedenfalls dürfte sich empirischer Evidenz nicht wissentlich verschlossen werden, um den Tatbestand zu umgehen; dafür spricht etwa, dass sich entgegen früherer Vertragsentwürfe gegen ein explizit doloses Verhalten des exportierenden Staates entschieden wurde (Rn. 6.11 ff.). Vor einer abschließenden Feststellung überlässt das Wissenselement den Vertragsstaaten allerdings einen relativ großen Raum zur Vermeidung der Tatbestandserfüllung. Es lässt sich jedoch mit guten Gründen interpretieren, dass dieser Raum um so kleiner wird, je mehr sich die öffentlichen und glaubhaften Hinweise auf Völkerrechtsverstöße durch Israel verdichten. Sollte die Bundesrepublik z.B. gesicherte Kenntnis von individuellen Angriffen auf zivile Objekte haben, so bliebe kein Platz mehr für völkerrechtmäßige Waffenexporte – Der Tatbestand des § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG wäre damit ebenfalls erfüllt.
Falls sich solche Feststellungen im Einzelfall treffen ließen, könnte auch eine Beihilfe Deutschlands zu den durch Israel begangenen Verstößen diskutiert werden. Art. 16 der Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR) setzt für den Beihilfe-Tatbestand ebenfalls Wissen hinsichtlich der durch einen anderen Staat begangenen Verstöße voraus. Die herrschende Meinung geht aber davon aus, dass das subjektive Element des Art. 16 ASR mehr als nur Erkenntnis meint und „Absicht“ („intent“) bezüglich der Beihilfehandlung fordert. Dass Deutschland Waffen an einen anderen Staat gerade mit dem Ziel des Völkerrechtsverstoßes liefert, ist fernliegend. Der Weg über den Beihilfetatbestand ist also noch weniger vielversprechend als der über Art. 6 ATT.
Das außenpolitische Dilemma
Ein zwingendes Exportverbot ließe sich also vorzugswürdig über § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG i.V.m. Art. 7 Abs. 1, 3 ATT begründen. Voraussetzung ist allerdings, dass vor der Ausfuhr das „eindeutige Risiko“ einer Völkerrechtsverletzung festgestellt wird. Im o.g. Urteil hat das niederländische Berufungsgericht eine entsprechende Bewertung an sich gezogen. Wer aber ist nach deutschem Recht befugt, eine solche Kontrolle durchzuführen? Der Gesetzgeber hat der Exekutive bzw. Gubernative ein erhebliches Vorabermessen eingeräumt, indem gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG „Grund zu der Annahme“ bestehen muss, dass eine Pflichtverletzung oder -gefährdung vorliegt – insoweit wird die gebundene Einzelfallentscheidung nur angedeutet und durch einen denkbar weiten Spielraum bei der Entscheidungsfindung zur Mimikry. Der Umfang einer gerichtlichen Kontrolle scheint dadurch erheblich eingeschränkt. Die Entscheidungsfreiheit über den „Grund zur Annahme“ muss indes an bestimmten Rahmenbedingungen gemessen werden, wenn eine Genehmigung auf dem Prüfstand des § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG steht. Das BMWK verweist auf den Gemeinsamen Standpunkt der EU ebenso wie auf die Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern und bezeichnet beide Instrumente als „wichtige Kriterienkataloge“. Wenn dort ein restriktives Exportverhalten gegenüber Drittstaaten (ergo, nicht NATO- oder NATO-gleichgestellte Staaten) unter der Berücksichtigung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht besonders hervorgehoben wird, ließe sich ein absoluter Entscheidungsfreiraum der Behörden damit nicht vereinbaren. Begrifflich deuten „politische“ Grundsätze und „wichtige Kriterienkataloge“ jedoch an, dass das BMWK von einer rechtlichen Bindungswirkung nicht ausgeht. Der Gemeinsame Standpunkt der EU ist allerdings nach Art. 29 EUV, 288 Abs. 4 AEUV verbindlich. Gem. Art. 2 Abs. 2 lit. c) des EU-Standpunktes muss eine Genehmigung zwingend versagt werden, wenn das Risiko schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht besteht. Begreift man die politischen Grundsätze als Konkretisierung dessen, lässt sich ihnen ebenfalls mehr als nur eine politische Bedeutung beimessen. Berücksichtigt man die Grundrechtsrelevanz der Genehmigungsentscheidung, ließe sich sogar erwägen, ob von ihnen eine Selbstbindung der Bundesregierung ausgehen kann. Auch wenn man dies wegen des komplexen politischen Entscheidungskontexts verneinen wollte, bliebe die Direktivkraft des Verfassungsrechts zu beachten: Art. 26 GG gliedert sich in eine Reihe von Vorschriften ein, in denen die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine völkerrechtsfreundliche Auslegung bei Konflikten zwischen innerstaatlichen und völkerrechtlichen Normen gebietet.
Waffenlieferungen um jeden Preis?
Dass die verfassungsrechtlichen Regelungsaufträge in Art. 26 GG nur unvollkommen umgesetzt wurden, darf nicht dazu führen, dass die Bundesregierung sich bei der Genehmigung von Waffenexporten nicht mehr an Völkerrecht gebunden fühlt. Dies sollte erst recht gelten, wenn man Versprechungen im Koalitionsvertrag ernst meinte (S. 146).
Die Krux ist offensichtlich und exemplarisch für die Ambivalenz zwischen außenpolitischen Interessen und wertegeleiteter Außenpolitik: Auf dem Papier ist die deutsche Rüstungsexportkontrolle von dem außen- und sicherheitspolitischen Wunsch beseelt, Frieden und Sicherheit ebenso wie Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht als oberste Handlungsmaximen zu verfolgen. Dass Waffenlieferungen in Konfliktgebiete eben diesen Grundsätzen entsprechen können, hat sich am Beispiel der Ukraine eindrücklich gezeigt. Die von der deutschen Staatsräson getragene Entscheidung, Waffenexporte nach Israel zu genehmigen, fügt sich in dieses Muster ein und ist nur logisch, wenn man den außenpolitischen Beziehungen und Bekundungen gegenüber Israel Nachdruck verleihen und es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen belassen möchte. Demgegenüber müssen sich Behörden, die den verfassungsrechtlichen Genehmigungsauftrag ausführen auch die Frage gefallen lassen, ob Israel um jeden Preis unterstützt werden muss – dies um so mehr, je eindeutiger die Anzeichen für schwere Verstöße gegen das Völkerrecht werden.
Fazit
Deutschland verstößt mit momentanen Kriegswaffenexporten nach Israel nicht nur gegen Völkerrecht, sondern begibt sich in eine außenpolitisch missliche Lage. Nicht umsonst hat Nicaragua beim IGH jüngst beantragt, Deutschland zur Beendigung der Waffenexporte zu bewegen. Ob es generell tunlich ist, Kriegswaffen an einen Staat zu liefern, dessen Spitzenpolitiker eine Rhetorik verwenden, die den IGH bewogen hat, den Vorwurf des Genozids für „plausibel“ zu halten, bleibt eine außenpolitische Entscheidung. Dass Deutschland seinem Selbstverständnis als Völkerrechtsapologet so gerecht werden kann, ist aber zumindest zweifelhaft. Eine streng wertegeleitete Außenpolitik sieht anders aus.