Am 16. Juli 2024 hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser bekanntgegeben, dass das Bundesministerium des Innern die Compact-Magazin GmbH verboten hat. Nicht wenige Stimmen kritisierten dieses Vorgehen als faktisches Medienverbot und als Versuch, die Presse unzulässigerweise über das Vereinsrecht zu regulieren.((Buchholz/Kolter, Ist das Compact-Verbot rechtswidrig?, lto vom 16. Juli 2024; Hipp/Leininger, Ist Faesers »Compact«-Verbot juristisch heikel?, Spiegel Online vom 19. Juli 2024; Steffen, Nancy Faesers heikle Mission, Zeit Online vom 19. Juli 2024.)) Wolfgang Kubicki forderte vorsorglich sogar den Rücktritt Faesers, sollte das Verbot gerichtlich keinen Bestand haben.
Die Aufregung um das Verbot des seit 2021 vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Magazins ist aus vereinsrechtlicher Perspektive nicht nachvollziehbar. Auch wenn bei Verboten von Mediengesellschaften grundsätzliche Fragen nach dem Verhältnis zur Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit aufgeworfen werden, reiht sich das Verbot der COMPACT-Magazin GmbH und der CONSPECT FILM GmbH in eine seit Jahrzehnten bestehende Verbotspraxis ein.
Der weite Vereinsbegriff und Kapitalgesellschaften
Mit Einführung des Öffentlichen Vereinsgesetzes im Jahr 1964 hat der Vereinsbegriff in § 2 Abs. 1 VereinsG im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Wertungen eine einfachgesetzliche Ausgestaltung gefunden.((BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juli 2019 – 1 BvR 1099/16 –, juris, Rn. 15.)) Ein Rückgriff auf die dortige Legaldefinition zur Klarstellung des durch Art. 9 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutzbereichs ist – wie beim Parteibegriff in § 2 Abs. 1 PartG und Art. 21 GG – anerkannt und zur Sicherung einer einheitlichen Vereinigungsverbotspraxis geboten.((So schon Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 2, Rn. 2.)) Nach § 2 Abs. 1 VereinsG ist ein Verein jede Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen, die sich ohne Rücksicht auf die Rechtsform für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat. Der öffentliche Vereinsbegriff ist damit denkbar weit. Von der Vereinigungsfreiheit geschützte Vereinigungen sind neben Vereinen und Gesellschaften, also gemäß §§ 55 ff. BGB eingetragene und nicht-eingetragene Vereine, auch wirtschaftliche Vereine nach § 22 BGB sowie Personen- und Kapitalgesellschaften. Gemäß § 17 VereinsG sind die Vorschriften des Vereinsgesetzes konkret etwa auch auf Aktiengesellschaften (AG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) anzuwenden, wenn sie sich unter anderem gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. In Bezug auf Verlage und Internetplattformen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass Vereine im Sinne des Vereinsgesetzes auch Organisationen sein können, deren Zweck in der Verbreitung von Nachrichten und Meinungsbeiträgen besteht. Der Umstand, dass sich eine solche Vereinigung gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf die in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgten Rechte berufen kann, steht der Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes nicht entgegen.((BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 – 6 A 1.19 –, juris, Rn. 35.))
Bislang verbotene Mediengesellschaften
Im Rahmen der Terrorismus- und Extremismusbekämpfung waren in den letzten Jahren bereits diverse Unternehmen und Kapitalgesellschaften, im Einzelnen Verlage, TV- und Musikproduktionsfirmen sowie Internetplattformen aus den Gefährdungsphänomenen auslandsbezogener Extremismus, Islamismus/islamistischer Terrorismus, Rechts- sowie Linksextremismus von vereinsrechtlichen Maßnahmen betroffen.
Presseunternehmen
Mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK wurden am 22. November 1993 weitere Nebenorganisationen, darunter die Berxwedan-Verlags GmbH einschließlich der Nachrichtenagentur Kurdistan-Haber Ajansi-News-Agency (Kurd-HA), verboten. Wie in der entsprechenden Verfügung festgestellt, verstießen deren Tätigkeiten gegen Strafgesetze, richteten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdeten die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland.((BTDrs 12/8561; Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Arbeiterpartei Kurdistan (PKK), Februar 2019, S. 15.)) Der PKK-Verlag Berxwedan ging gegen sein Verbot vor und berief sich als Presseunternehmen auf seine Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Satz 2 Var. 1 GG. Das Bundesverwaltungsgericht stellte zunächst einstweilig((BVerwG, Beschluss vom 19. August 1994 – 1 VR 9/93 –, juris.)) und später auch in der Hauptsache((BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1997 – 1 A 13/93 –, juris.)) klar, dass das Verbot auf solche Teilorganisationen erstreckt werden konnte, die einen wesentlichen Teil der Propaganda- und Öffentlichkeitsarbeit der PKK wahrnahmen und dadurch die verbotene Betätigung nachhaltig unterstützten. Wie sich aus den in Art. 5 Abs. 2 GG festgelegten Schranken der Meinungs- und Pressefreiheit und einer Abwägung mit den verfassungsrechtlichen Verbotstatbeständen des Art. 9 Abs. 2 GG ergebe, hätten Meinungs- und Pressefreiheit dort zurückzutreten, wo sie ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienten.((BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1997 – 1 A 13/93 –, juris, Rn. 74; Beschluss vom 19. August 1994 – 1 VR 9/93 –, juris, Rn. 52; darauf auch abstellend Gusy, Zum „Compact“-Verbot durch das Bundesinnenministerium, Verfassungsblog vom 17. Juli 2024.))
Die Yeni Akit GmbH wurde am 22. Februar 2005 als Verlegerin der Europa-Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung Anadoluda Vakit wegen Leugnung des Holocausts in volksverhetzender Weise und der Verbreitung antisemitischer Propaganda verboten.((BAnz 2005, 2797; BfV, Verbotene Organisationen und Kennzeichen im Islamismus und islamistischen Terrorismus, abrufbar unter: https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/islamismus-und-islamistischer-terrorismus/verbotene-organisationen/verbotene-organisationen_node.html (zuletzt abgerufen am 18. Juli 2024); BfV, Verfassungsschutzbericht 2017, S. 324.)) Wenig später, am 30. August 2005 verbot der damalige Bundesinnenminister Otto Schily die E. Xani Presse- und Verlags-GmbH, die wiederum die türkischsprachige Europaausgabe der PKK-Tageszeitung Özgür Politika verlegte.((BAnz 2005, 13393 f.; Bundesministerium des Innern, Schily verbietet zwei extremistische Vereine, Pressemitteilung vom 5. September 2009. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2005 gewährte das Bundesverwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz und setzte die sofortige Vollziehung der Verbotsverfügung aus, vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2005 – 6 VR 5.05 –, juris, Rn. 7. Hintergrund waren jedoch nicht Bedenken wegen einer Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit, sondern die Auslegung des § 17 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 VereinsG a.F. Nach dieser Vorschrift konnten Gesellschaften mit beschränkter Haftung als Verein verboten werden, wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit Strafgesetzen zuwiderliefen, die aus Gründen des Staatsschutzes erlassen wurden. Aus diesem Grund wurde das Verbot mit Beschluss vom 20. Dezember 2005 (6 A 4.05) aufgehoben.)) Die Deutschen Journalisten-Union (dju) kritisierte das Vorgehen damals als „völlig überzogen“.((Frankfurter Allgemeine Zeitung, Schily verbietet kurdische Zeitung in Hessen, 5. September 2005, abrufbar unter https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/wirtschaft/medien-terrorismus-schily-verbietet-kurdische-zeitung-in-hessen-1252383.html (zuletzt abgerufen am 18. Juli 2024).)) Beide Verlagsgesellschaften wurden als eigenständige Vereine gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 17 VereinsG und nicht als Teil- oder Nebenorganisation gemäß § 3 Abs. 3 VereinsG verboten. Dies bedeutet, dass bei ihnen das Vorliegen eines eigenen Verbotsgrundes bejaht wurde, was im Falle des vereinfachten Verbotsmaßstabs des § 3 Abs. 3 VereinsG nicht notwendig gewesen wäre.
Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble verbot mit Verfügung vom 13. Juni 2008 das deutsche Unternehmen VIKO Fernseh Produktion GmbH sowie die zwei Aktiengesellschaften dänischen Rechts Mesopotamia Broadcast A/S METV und Roj TV A/S. Sie betrieben auf der Grundlage einer dänischen Sendelizenz einen Fernsehsender mit einem vorwiegend in kurdischer Sprache produzierten Programm.((Tagesspiegel, Medienpolitik – Innenministerium verbietet kurdischen Fernsehsender, 24. Juni 2008.)) Die Programme wurden europaweit – auch nach Deutschland – über Satellit ausgestrahlt und konnten bis in die Siedlungsgebiete der Kurden in der Türkei und im Nahen Osten empfangen werden.((BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2010 – 6 A 7.08 –, juris, Rn. 2.)) Das Verbot wurde damit begründet, dass sich die Ausstrahlung des Fernsehprogramms gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete, da der Sender den bewaffneten Guerillakampf der PKK gegen den türkischen Staat unterstützte und verherrlichte.((Das Bundesverwaltungsgericht legte die Klagen gegen die Verbotsverfügung dem EuGH vor, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2010 – 6 A 6.08 und 6 A 7.08 –, juris. Der EuGH stellte durch Urteil vom 22. September 2011 – C-244/10 und C-245/10 – fest, dass Art. 22a der Richtlinie 89/552/EWG es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in Anwendung des Vereinsgesetzes Maßnahmen gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Fernsehveranstalter mit der Begründung zu treffen, dass die Tätigkeiten und die Ziele dieses Veranstalters dem Gedanken der Völkerverständigung zuwiderlaufen, sofern die genannten Maßnahmen nicht die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von Fernsehsendungen, die dieser Veranstalter von dem anderen Mitgliedstaat aus ausstrahlt, im Hoheitsgebiet des Empfangsmitgliedstaats verhindern. Mit Gerichtsbescheid vom 23. Juli 2012 – 6 A 3/11 und 6 A 4/11 – hob das Bundesverwaltungsgericht das Organisationsverbot auf und bestätigte ein insoweit anerkanntes Tätigkeitsverbot mit Blick auf Betätigungen, die von ihr im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgehen oder zu ihren Gunsten dort vorgenommen werden (vgl. Rn. 18 ff.).))
Am 1. Februar 2019 wurden zwei kurdische Medienbetriebe als nichtgebietliche Teilorganisationen der PKK verboten. Die Vereinigungen Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH als einzige europäische Vertriebsorganisation von Propagandamaterial der PKK und die MIR Multimedia GmbH als kurdische Musikproduktionsfirma seien finanziell, personell und organisatorisch derart eng mit der PKK verflochten gewesen, dass sie als deren Teilorganisationen in deren Verfügung vom 22. November 1993 einbezogen werden konnten (vgl. § 3 Abs. 3 VereinsG).((BAnz AT 12.02.2019 B1; Bundesministerium des Innern, Bundesinnenminister Horst Seehofer verbietet PKK-Verlag, Pressemitteilung vom 12. Februar 2019; zur Rechtmäßigkeit der Verbote vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2022 – 6 A 7/19 –, juris.))
Internetplattformen
Der Verein Altermedia Deutschland galt als maßgebliches Neonazi-Portal und Nachrichtenseite der rechtsextremen Szene und wurde Anfang 2016 verboten.((BAnz AT 27.01.2016 B1; Lob, Der schwierige Kampf gegen Nazis im Netz, 27. Januar 2016, abrufbar unter https://www.deutschlandfunk.de/verbot-von-altermedia-der-schwierige-kampf-gegen-nazis-im-100.html (zuletzt abgerufen am 19. Juli 2024).)) Davon umfasst waren der Betrieb der Internetseite des Vereins, diverse E-Mail-Adressen sowie die verschiedenen Social-Media-Kanäle. Mit Verfügung vom 14. August 2017 verbot Bundesinnenminister Thomas de Maizière schließlich die Internetplattform linksunten.indymedia, da diese den Strafgesetzen zuwiderlaufe und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte.((BAnz AT 25.08.2017 B1.)) Abgeschaltet werden mussten neben der Internetseite auch der Twitter-Account und sämtliche E-Mail-Adressen des Vereins.((Ziffer 3 der Verbotsverfügung vom 14. August 2018.))
Vereinigungsverbotsverfahren und die Meinungs- bzw. Pressefreiheit
Spätestens das Verbot von linksunten.indymedia warf für eine breitere Öffentlichkeit die Frage auf, wie weit die Befugnisse reichen, Nachrichtenportale, Zeitungen und Presseunternehmen als Vereine mittels Vereinsverboten zu verbieten, und wann die Meinungs- und Pressefreiheit gegenüber dem Vereinsverbot Vorrang haben muss. Mit dem Verbot des Compact-Magazins rückt die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit im Kontext von Vereinigungsverboten nach Art. 9 Abs. 2 GG nun erneut in den Fokus (dazu hier).
Vereinsverbot als gebundene Entscheidung
Gemäß Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten. Die Verbotstatbestände wurden verfassungsunmittelbar als Gewährleistungsschranken in Art. 9 Abs. 2 GG geregelt und damit gesetzesfest gestaltet. § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, der die verfassungsrechtlichen Vorgaben nur konkretisieren kann, setzt einfachgesetzlich den Erlass einer Verbotsverfügung voraus. Zuständige Verbotsbehörden sind je nach Schwerpunkt der Vereinsorganisation und -tätigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VereinsG die obersten Landesbehörden (in der Regel die Landesinnenministerien) oder die nach Landesrecht zuständige Behörde (Nr. 1) oder das Bundesministerium des Innern (Nr. 2).((Bis zur Reform durch die Elfte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I 2020 S. 1328) war Verbotsbehörde nicht das Bundesinnenministerium, sondern der Bundesminister des Innern.)) Die Tatbestände des Vereinigungsverbots in Art. 9 Abs. 2 GG lassen beim Erlass einer Verbotsverfügung wegen des klaren Wortlauts grundsätzlich keinen Raum für Ermessenserwägungen auf Rechtsfolgenseite. Erfüllt eine Vereinigung einen der Verbotstatbestände des Art. 9 Abs. 2 GG, muss sie verboten werden. Abstufungen auf Rechtsfolgenseite sieht der Verfassungsgeber nicht vor.((BVerfGE 149, 160 (194); BVerwG, Beschluss vom 16.09.2014 – 6 B 31/14 –, Buchholz 402.45 Vereinsrecht Nr. 65, Rn. 8; NVwZ 2013, 870 (875); NVwZ 2013, 521 (525); NVwZ-RR 2012, 648 (656); BVerwGE 134, 275; vgl. auch zur Gegenüberstellung mit § 3 Abs. 1 VereinsG und zum Streitstand in der Literatur, wonach mehrheitlich ein Ermessen auf Rechtsfolgenseite gefordert wird, Lukosek, Vereine als Gefahr, 2023, S. 56 ff.))
Das Verbot der Internetplattform „linksunten.indymedia“
Auch beim Verbot der als gewaltorientiert und linksextremistisch eingestuften Internetplattform „linksunten.indymedia“ kollidierten das Vereinigungsverbot, die gefahrenabwehrrechtliche Intention des Vereinsgesetzes und sein Charakter als ein Instrument des präventiven Verfassungsschutzes mit dem Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit.
Das Bundesverwaltungsgericht erkannte im streitgegenständlichen Verbot kein Verbot des unter der Internetadresse „linksunten.indymedia.org“ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses „linksunten.indymedia“. Das Bundesministerium des Innern war daher nicht daran gehindert, auf Grundlage des Vereinsgesetzes vorzugehen, obwohl die Tätigkeiten der Vereinigung auch in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fielen.((BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 – 6 A 1.19 –, juris, Rn. 33.)) Der Umstand, dass sich eine solche Vereinigung auf die in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgten Rechte berufen könne, stehe der Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes erst entgegen, wenn ein Verbot allein mit durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützte Meinungsäußerungen und Pressetätigkeiten begründet werde. Ein Verbot, das auf grundrechtlich geschützte Handlungen gestützt werde oder auf andere Weise Grundrechte beeinträchtige, müsse im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs nach Art. 9 Abs. 2 GG diese Grundrechte beachten. Ein solcher Zusammenschluss genieße dann weitergehenden Schutz. Im Rahmen der Anwendung der Verbotsgründe sei darum die Verhältnismäßigkeit des Verbots zu prüfen und abzulehnen, wenn eine mildere Maßnahme geeignet und ausreichend sei, um den Belangen der Gefahrenabwehr Rechnung zu tragen.((BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 – 6 A 1.19 –, juris, Rn. 35. ))
Das Bundesverwaltungsgericht stützt diese Maßstäbe auf eine für das Vereinsverbotsverfahren und die Vereinigungsfreiheit grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in welcher sich dieses mit gleich drei Vereinsverboten auseinandersetzte. Der rechtsextreme Verein Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) berief sich mit Blick auf seine monatlich erscheinende Vereinszeitschrift Nachrichten der HNG auf seine Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, die im Rahmen des Schutzes der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG zu beachten sei. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte, dass das Grundrecht, an dem sich das Vereinigungsverbot primär messen lassen müsse, die Vereinigungsfreiheit sei. Das bedeute „nicht, dass die Wertungen weiterer Grundrechte im Rahmen der Prüfung am Maßstab des Art. 9 GG keine Berücksichtigung finden […]. Art. 5 Abs. 1 GG wird damit aber nicht zum selbständigen Prüfungsmaßstab. Ein Vereinigungsverbot wäre mit den Anforderungen des Grundgesetzes allerdings nicht zu vereinbaren, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen. Der Schutz durch andere Grundrechte darf von einem Vereinigungsverbot nicht unterlaufen werden.“((BVerfGE 149, 160 (191 Rn. 93).)) Die Gründung und das Handeln in einer Vereinigung verringere den Grundrechtsschutz nicht. „Soweit Tätigkeiten einer Vereinigung den Schutzbereich weiterer Grundrechte berühren, sind Eingriffe grundsätzlich an diesen Grundrechten zu messen; für Verbote von Vereinigungen gilt hingegen, auch soweit sie andere Grundrechte betreffen, in erster Linie die spezielle Norm des Art. 9 Abs. 2 GG.“((BVerfGE 149, 160 (192 f. Rn. 98).))
Die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit wird von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht darum auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Vereinigungsfreiheit berücksichtigt. Die verfassungsgerichtliche Entscheidung fasst dies wie folgt:
„Für ein Verbot von Vereinigungen gilt wie für jeden anderen Eingriff in Grundrechte einer Vereinigung der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der hoheitliches Handeln zugunsten grundrechtlich geschützter Freiheit beschränkt. Das zwingt dazu, gegenüber Vereinigungen das jeweils mildeste gleich wirksame Mittel zu ergreifen, um legitimen Gemeinwohlbelangen Rechnung zu tragen“.((BVerfGE 149, 160 (194 f. Rn. 102).))
Art. 9 Abs. 2 GG stehe weniger einschneidenden Eingriffen in die Grundrechte der Vereinigung als ihrem Verbot nicht entgegen. Das Vereinigungsverbot als weitestgehender Eingriff komme nur in Betracht, wenn mildere und gleich wirksame Mittel nicht ausreichten, um die Ziele der Verbotstatbestände des Art. 9 Abs. 2 GG zu erreichen. Eine Vereinigung könne daher insbesondere nicht allein aufgrund vereinzelter Handlungen einzelner Mitglieder verboten werden; diese müssten einer Vereinigung vielmehr prägend zuzurechnen sein. Je weniger der Verbotstatbestand durch Handlungen der Organe der Vereinigung selbst, der Mehrheit ihrer Mitglieder oder von ihr beherrschter Dritter erfüllt werde, desto klarer müsse erkennbar sein, dass die Vereinigung diese Handlungen kenne, billige und sich mit ihnen identifiziere, so dass das Ziel des Art. 9 Abs. 2 GG nur durch ein Verbot der Vereinigung erreicht werden könne. Die Verbotsnorm des Art. 9 Abs. 2 GG sei insofern Ausdruck, nicht Ausnahme von der Verhältnismäßigkeit.((BVerfGE 149, 160 (195 Rn. 102 f.).))
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in Übertragung dieser Maßstäbe keine durchgreifenden Bedenken gegen das Vereinsverbot von linksunten.indymedia. Die dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerden nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an. Die Zweite Kammer des Ersten Senats betonte am Ende ihres Beschlusses allerdings ausdrücklich, damit nicht über die Frage, welche Grundrechte diejenigen schützen, die ein organisiertes Internetportal betreiben, entschieden zu haben.((BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 1. Februar 2023 – 1 BvR 1336/20 u.a. –, juris, Rn. 16.))
Schlussfolgerungen für das Verbot der Compact-Magazin GmbH
Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun für das Compact-Verbot daraus ziehen, dass ein Verbot maßgeblich an Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu messen ist, auf der Rechtsfertigungsebene des Eingriffs in die Vereinigungsfreiheit jedoch Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit zu berücksichtigen sind?
Das Bundesinnenministerium verbot die COMPACT-Magazin GmbH einschließlich ihrer Teilorganisation CONSPECT FILM GmbH, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Das Verbot adressiert formell also nicht das Magazin als Presseerzeugnis, sondern die dahinterstehenden Organisationen als rechtsextremistisch eingestufte Vereinigungen, inklusive Youtube- und Social-Media-Kanälen sowie Verlagsshop. Verlagsgesellschaften wie die COMPACT-Magazin GmbH wurden, wie dargestellt, schon häufiger verboten – zum Teil eigenständig nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 GG und zum Teil als Teilorganisation nach § 3 Abs. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 GG. Mit HNG e.V., linksunten.indymedia und Altermedia Deutschland trafen Verbote auch nicht gesellschaftsrechtlich organisierte Vereine. Die Verbote hatten mit Blick auf die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit bislang immer Bestand.((BVerfGE 149, 160 (HNG e.V.); BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2022 – 6 A 7/19 –, juris (Mezopotamien Verlag Vertrieb GmbH/ MIR Multimedia GmbH); Urteil vom 29. Januar 2020 – 6 A 1.19 –, juris (linksunten.indymedia); Urteil vom 28. Januar 1997 – 1 A 13/93 –, juris; Beschluss vom 19. August 1994 – 1 VR 9/93 –, juris (Berxwedan-Verlag).))
Vergleicht man den Fall mit den bisherigen Verboten von Verlagsgesellschaften, Medienproduktionsfirmen und Internetplattformen, drängt sich kein offensichtlicher Unterschied im Vorgehen der Verbotsbehörde auf. Das Compact-Verbot zielt nicht nur auf die Untersagung einer Zeitung bzw. eines Presseerzeugnisses, sondern jedenfalls auch, wenn nicht gar in erster Linie auf das Gefährdungspotential der dahinterstehenden Organisationen als Vernetzungsorgane in der Szene der neuen Rechten. Dazu werden der Vereinigung, wie aus der nun veröffentlichten 79-seitigen Verbotsbegründung hervorgeht, nicht nur Magazinbeiträge, sondern auch Youtube-Videos und Aussagen der Compact-Verantwortlichen zugerechnet. Damit steht einem Vorgehen gemäß Art. 9 Abs. 2 GG grundsätzlich nichts entgegen.