7. Februar 2019

Odey Hardan

Warum der EuGH-Generalanwalt in punkto „PKW-Maut“ Unrecht hat

„Jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ ist verboten. So steht es in Art. 18 AEUV, und für Verkehrsunternehmen wird dieser Grundsatz insbesondere durch den spezielleren Art. 92 AEUV flankiert. Bis heute schien das deutsche Vignettensystem („Pkw-Maut“) ein Musterbeispiel für eine in diesem Sinne diskriminierende Regelung zu sein. Generalanwalt Nils Wahl hat gestern – für viele überraschend – für eine Zulässigkeit des deutschen Vignettensystems plädiert. Die Argumente des Generalanwalts überzeugen nicht. Jetzt hat der EuGH aber die Gelegenheit in seinem Urteil seiner Verantwortung zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge (Art. 19 EUV) nachzukommen. 

Im Oktober 2017 hat Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 259 AEUV initiiert, dem sich die Niederlande angeschlossen hat. Dabei hatte die EU-Kommission bereits 2015 ein Verfahren eingeleitet, dieses aber aufgrund der seitens Deutschland vorgenommenen Nachbesserungen nicht weiter verfolgt. Gegen die „Pkw-Maut“ waren schon zuvor schwer wiegende juristische Bedenken erhoben worden, was aber Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt nicht hinderte, das Vignettensystem frühestens ab Oktober 2020 einzuführen. Der Bundesregierung geht es darum, Ausländer an der Finanzierung deutscher Verkehrsinfrastruktur zu beteiligen, ohne deutsche Autofahrer finanziell zu belasten. Diese sollen einen Freibetrag in der Kfz-Steuer bekommen, der die Vignettenabgabe kompensiert. Somit trifft die Abgabepflicht Ausländer und deutsche Verkehrsteilnehmer,  aber die Deutschen bekommen die Kosten dafür ersetzt.

Die Klage aus Österreich stützt sich im Wesentlichen auf folgende Gründe: 

  • Die steuerliche Kompensation der Infrastrukturabgabe sei eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, ebenso wie die Sanktionen für die nicht oder nicht korrekt entrichtete Infrastrukturabgabe, da diese faktisch überwiegend ausländische Autofahrer treffen. 
  • Über dies werden die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit beschränkt. Erstreckt sich die Maut auf Bus- oder Warentransporte mit Kfz unter 3,5 t, so liege ebenfalls ein Verstoß gegen Art. 92 AEUV vor.

Von deutscher Seite wurde dabei stets eingewandt, dass Deutsche – im Gegensatz zu EU-Ausländer – bereits über die Kfz-Steuer die deutsche Verkehrsinfrastruktur finanzieren. Das Vignettensystem soll eine Beteiligung der ausländischen Verkehrsteilnehmer sicherstellen, ohne die Deutschen noch mehr zu belasten. 

Die Argumente des Generalanwalts

Eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 AEUV schließt der Generalanwalt nicht von vornherein aus. Faktisch seien zwar die meisten Verkehrsteilnehmer deutsche Staatsangehörige und die Abgabe die ausländischen Verkehrsteilnehmer belasten würde. Eine Diskriminierung liege dennoch nicht vor. Die Vergleichsgruppen (ausländische und deutsche Verkehrsteilnehmer) befänden sich nicht in einer vergleichbaren Situation: Während deutsche Kfz-Halter sowohl die Infrastrukturabgabe, als auch eine Kfz-Steuer in Deutschland entrichten müssten, treffe dies auf ausländische Kfz-Halter nicht zu, die in Deutschland nur die Infrastrukturabgabe entrichten müssten. Insoweit greift er das Argument der Bundesregierung auf, welches prima facie überzeugend zu sein scheint. Im Wege einer im Vergleich zu Art. 92 AEUV restriktiveren Gesamtbetrachtung kommt er zu dem Schluss, dass bei der Beurteilung nur auf die  Infrastrukturabgabe als solche abgestellt werden muss (Rn. 49-53). 

Zu beanstanden ist zunächst der vom Generalanwalt angelegte Prüfungsmaßstab. Das Argument, Art. 18 AEUV gebiete im Gegensatz zu Art. 92 AEUV eine restriktivere und damit engere Gesamtbetrachtung greift nicht durch: Art. 92 AEUV ist lex specialis im Verhältnis zu Art. 18 AEUV und gebietet eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung, wobei auch der Steuerfreibetrag zu berücksichtigen ist. Es wäre methodisch widersprüchlich, die allgemeinere Vorschrift Art. 18 AEUV enger auszulegen als die Spezialvorschrift. Nähme man eine solche Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Kfz-Steuer vor, so verstieße man auch nicht gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung: Den Mitgliedstaaten kommt zwar die Steuer- und Abgabenhoheit zu, mit Blick auf das Diskriminierungsverbot werden Unionsorgane damit noch nicht von ihrer Prüfungspflicht entbunden. Der Prüfungsmaßstab ist lediglich auf die Prüfung des Vorliegens willkürlicher Diskriminierungen beschränkt (EuGH Rs. C-175/88, Slg. 1990, I-1789 – Biel).

Worauf der Generalanwalt kaum eingeht: das kompensatorische Moment der Infrastrukturabgabe. Nach Ansicht des Generalanwalts führe die Steuerentlastung nicht zu einer Ungleichbehandlung, da selbst bei einer Nullreduzierung der Kraftfahrzeugsteuer kein ausländischer Fahrer für die Benutzung deutscher Autobahnen mehr zahlen müsste als Halter inländischer Fahrzeuge(Rn.19). Das Argument scheint zu sein, dass die Kfz-Steuer nicht ausschließlich zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur verwendet wird und ein konkretes Straßenfinanzierungsmodell noch nicht besteht. Auch wird vorgebracht, dass der Bereich der Kraftfahrzeugbesteuerung auf Unionsebene nicht harmonisiert ist und damit quasi denklogisch keine Steuerentlastung gewährt werden kann, wenn überhaupt keine Steuerpflichtigkeit für Ausländer besteht (Rn. 57). 

An dieser Stelle verkennt der Generalanwalt die in der oben genannten Biel-Rechtsprechung vertretene Linie des EuGH. Hier bestand durchaus Klärungsbedarf, inwieweit die Motive der Bundesregierung bei der Ausgestaltung der Vignette in Verbindung mit dem Freibetrag für Kfz-Steuerpflichtige eine willkürliche verdeckteDiskriminierung begründen. Das evidente Problem ist hier, dass der Freibetrag in der Kfz-Steuer streng an die Infrastrukturabgabe gekoppelt ist und sich nicht aus dem Steuersystem selbst ergibt. Die Infrastrukturabgabe ist zwar unterschiedslos an alle Verkehrsteilnehmer gerichtet, tangiert aber aufgrund des Freibetrags deutsche Verkehrsteilnehmer nicht in selber Weise wie ausländische Verkehrsteilnehmer. Die Infrastrukturabgabe würde sich streng genommen für EU-Ausländer wie eine Steuer auswirken, da diese im Unterschied zu deutschen Verkehrsteilnehmern nicht finanziell kompensiert werden. Es kommt mithin nicht nur darauf an, ob deutsche Verkehrsteilnehmer belastende Wirkungen verspüren, sondern auf die Belastungswirkung der Infrastrukturabgabe im Verhältnis zu den ausländischen Verkehrsteilnehmern. 

Der Einführung der Infrastrukturabgabe stehe ebenfalls das aus dem Umweltrecht stammende Verursacherprinzip entgegen, wonach die Kosten für die Nutzung der Verkehrsinfrastruktur derjenige zu tragen hat, der für ihr Entstehen verantwortlich ist. Geboten und erforderlich ist, wie richtigerweise in der Infrastrukturabgabe vorgesehen, durch verschiedene Formen der Vignette der unterschiedlichen Straßennutzung durch Ausländer und Inländer gerecht zu werden. Wichtiger ist aber, dass das Verursacherprinzip im Hinblick auf die Steuerentlastung gebietet, dass der Freibetrag nicht umfangreicher als die Straßennutzungsgebühr ausfallen darf. Dies würde nämlich zu Wettbewerbsverzerrungen führen, die gerade durch Art. 18 AEUV verhindert werden sollen. Insofern steht einer Kompensation der Infrastrukturabgabe das Verursacherprinzip entgegen, da die Straßennutzungen deutscher Verkehrsteilnehmer strenggenommen nicht dem deutschen Nutzer finanziell zur Last fallen würden. 

Zudem geht letztlich in dieser Argumentation unter, dass auch deutsche Staatsangehörige im EU-Ausland keine Kfz-Steuer entrichten müssen. Von einem Steuerprivileg zu Gunsten von Ausländern in Deutschland zu sprechen grenzt an Absurdität. Es wäre daher sinnvoll gewesen den relativ weiten Anwendungsbereich des Art. 18 AEUV einem Trichter gemäß handzuhaben und im Rahmen einer Rechtfertigung nach möglichen Dispensen zu suchen, anstatt gleich den ganzen Anwendungsbereich einschränkend auszulegen

Integrationspolitisch fragwürdig

EU-Ausländer an der Finanzierung der deutschen Verkehrsinfrastruktur zu beteiligen ist keineswegs ein verwerfliches Anliegen, im Gegenteil. Integrationspolitisch unverantwortlich wäre es aber ein System zuzulassen, das im Ergebnis zu einer Belastung von Ausländern und einer ungerechtfertigten Privilegierung von Inländern führt. Zielführend wäre eine Lösung durch die EU, die, wie bereits mit der Eurovignettenrichtlinie geschehen, nach Art. 90 AEUV die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche „Pkw-Maut“ schaffen könnte. Andernfalls bedarf es einer Aufgabe des Kfz-Steuerfreibetrages durch die Bundesregierung, was eine Mehrbelastung deutscher Verkehrsteilnehmer zur Folge hätte. Zu hoffen ist daher auf klarstellende Worte und eine wegweisende Entscheidung des EuGH.

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