15. April 2014

Eberhart Theuer

Wie „Habeas Corpus“ die Speziesgrenze transzendieren könnte

Ist „Person“ eine abgeschlossene rechtliche Kategorie, die außer dem Homo sapiens keiner weiteren Spezies mehr offen steht? Schon seit einigen Jahren empfehlen sich Schimpansen und andere Non-Homo-sapiens-Menschenaffen als mögliche Kandidaten. Der Diskurs um deren Rechtsstatus wird nicht nur de lege ferenda geführt. Und er ist nicht nur theoretisch. Die ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten von Non-Homo-sapiens-Menschenaffen, ihre nahe genetische Verwandtschaft zum Homo sapiens, das Vorhandensein bislang als „typisch menschlich“ angesehener Attribute und Fähigkeiten wie Werkzeugherstellung, Sprache, Altruismus und Theory of Mind (Vorstellung von Intentionen, Gefühlen, Wissen, Wünschen etc. des Anderen) werfen die Frage auf: Kommt diesen bereits nach geltender Rechtslage – zumindest per Analogie – der Status eines Rechtssubjekts zu, das Träger zumindest basalster Grundrechte ist?

Der Fall Hiasl

Bereits im Jahr 2007 erregte das Verfahren um den Schimpansen Hiasl („Matthias Pan“) weltweit Aufsehen. Freunde des in einem Österreichischen Tierasyl lebenden Schimpansen hatten einen Antrag beim Bezirksgericht Mödling eingebracht mit dem Ziel, dass diesem zumindest die grundlegendsten subjektiven Rechte wie Leben und körperliche Unversehrtheit zuerkannt werden. Die drohende Schließung des Asyls aus finanziellen Gründen und ein möglicher Verkauf Hiasls an Zirkusse oder Versuchseinrichtungen waren äußerer Anlass des Antrags. Eine Zentralnorm des österreichischen Rechts mit Grundrechtscharakter, die den Zusammenhang von „Person“ und subjektiven Rechten anspricht (§ 16 Allgemeines Bürgerlichen Gesetzbuch – ABGB), war Ausgangspunkt der rechtlichen Argumentation, die durch Gutachten von Professoren bzw. Professorinnen der juristischen Fakultät Wien (Eva Maria Maier und Stefan Hammer) sowie anthropologische und primatologische Expertisen gestützt wurde. Das Verfahren ging durch alle Instanzen bis zum österreichischen Obersten Gerichtshof und dem EGMR. Dabei wurden wichtige Etappenziele in Richtung eines geänderten Rechtsstatus von Non-Homo-sapiens-Menschenaffen erreicht und eine nachhaltige Diskussion darüber in Gang gesetzt. Eine explizite höchstgerichtliche Anerkennung als Rechtssubjekt blieb Hiasl aber verwehrt.

Ziemlich genau sieben Jahre später startet das „Nonhuman Rights Project“ in den USA seinen Versuch, den Rechtsstatus für Schimpansen und andere Angehörige kognitiv hochentwickelter Spezies zu verbessern. Initiator des Projekts ist Anwalt und Rechtswissenschaftler Steven Wise. Wise hielt den ersten  „Animal Rights“-Kurs an der Harvard Law School und hat mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, u.a. „Rattling the Cage“ (2000).

Auf der Konferenz The Animal Turn and the Law in Basel berichtete Wise über Hintergründe und den Stand der Dinge. Wise hat sich mit seiner Initiative Zeit gelassen. Die Rechtslage in allen 50 Bundesstaaten der USA wurde mit Blick darauf untersucht, in welcher Jurisdiktion und über welchen Verfahrensweg das Ziel der Initiative am besten zu erreichen sei. Eine zweistellige Zahl an Juristinnen bzw. Juristen, so Wise, habe zeitweise an dem Projekt gearbeitet. Schließlich habe man sich für ein Habeas-Corpus-Verfahren im Bundesstaat New York entschieden und sich dafür die entsprechenden Mandanten gesucht.

Ein Habeas-Corpus-Antrag (Petition for Writ of Habeas Corpus) zielt darauf ab, durch gerichtliche Entscheidung die Freilassung eines unrechtmässig gefangen Gehaltenen zu erwirken. Der gerichtliche Writ of Habeas Corpus ordnet zunächst an, den Gefangenen vor das Gericht zu bringen. Sodann wird über die Frage der Freilassung entschieden. Mit dem Versuch, das Rechtsinstitut des Habeas Corpus für Angehörige anderer Spezies als den Homo sapiens nutzbar zu machen, wird sozusagen eine neue Art von Gefangenen etabliert – und ein Rechtsweg für deren Freisetzung geschaffen.

Das aus England übernommene Common Law System der USA und das im deutschen Sprachraum inexistente Rechtsinstitut des Habeas Corpus machen es für die Proponenten des Nonhuman Rights Projects etwas einfacher, als es die Beschwerdeführer im Fall Hiasl hatten. Common-Law-Rechtsprechung ist nicht an gesatztes Recht gebunden, sondern an Präzedenzfälle und daraus entwickelte Prinzipien. Erstere begünstigen, vereinfacht gesagt, ein induktives Vorgehen in Analogien, letztere sind im allgemeinen flexibler als gesatzte Normen. Zurückhaltung in der Fortentwicklung des Rechts und ein diesbezüglicher Konservativismus stellen freilich einen nicht zu unterschätzenden Hemmschuh für die Etablierung neuer Ideen dar. Und auch in den USA wird das Common Law durch eine Vielzahl an Gesetzen überlagert, die teilweise dasselbe kodifizieren bzw. auf ihm aufbauen. Das Habeas-Corpus-Verfahren kommt den Bestrebungen des Nonhuman Rights Projects jedenfalls zugute. Entsprechende Anträge sind sowohl gegen staatliche als auch gegen private Gefangennahme zulässig – ein wichtiger Punkt, wenn es um Non-homo-sapiens-Menschenaffen geht, die sich zumeist in privaten Einrichtungen oder gar bei Privatpersonen befinden. Auch die Frage des Mandatsverhältnisses bzw. der Parteistellung ist ein geringeres Problem als im kontinentaleuropäischen Raum. Dritte können als „next friend“ einen entsprechenden Antrag für Gefangene stellen.

Somerset v. Stewart

Als Präzedenzfall dient dem Nonhuman Rights Project u.a. ein Habeas-Corpus-Antrag, der für eine Art von Gefangenen gestellt wurde, die damals nicht als Rechtssubjekt behandelt wurden: James Somerset, aus Afrika nach Boston verschleppt, dort von einem Charles Stewart als Sklave gekauft und nach England gebracht. Entkommen und wieder gefangen genommen sollte er in Jamaika auf einer Plantage arbeiten. Richter Lord Mansfield erachtete Sklaverei als unvereinbar mit dem Common Law, Somerset kam frei. Somerset v Stewart, ein Fall aus 1772, einem Jahr, als die USA noch gar nicht existierten, soll über 240 Jahre später vier New Yorker Schimpansen zur Freiheit verhelfen. James Somerset ging als Sache in den Gerichtssaal und verließ ihn als Person, sagt Wise. Ein fundamentaler Wandel.

Und einen solchen Wandel wollen Wise und seine Mitstreiter auch bezüglich anderer Spezies initiieren. Drei im Staat New York in Gefangenschaft befindliche Schimpansen starben, noch ehe Wise seine Anträge einbringen konnte. Anfang Dezember 2013 schließlich stellte das Nonhuman Rights Project bei drei New Yorker Gerichten Habeas-Corpus-Anträge für vier im Staat New York in Gefangenschaft gehaltene Schimpansen: Tommy und Kiko, beide etwa 26 Jahre alt, von Privatpersonen in Käfigen eingeschlossen; sowie Hercules und Leo, die einem Lokomotions-Versuch des Anatomiedepartments der Stony Brook Universität (New York) unterzogen wurden. Den Anträgen waren auf etwa 90 Seiten rechtliche Ausführungen angeschlossen (Memorandum of Law) sowie u.a. mehrere Erklärungen unter Eid (Affidavits) von Wissenschaftlern.

Wie schon im Fall Hiasl spielt auch für die New Yorker Schimpansen der Personenbegriff eine zentrale argumentative Rolle. Eine Person sei rechtlich betrachtet eine Entität, betont Wise auf der Konferenz in Basel, welche die Kapazität aufweist, Rechte zu haben. Schimpansen verfügen nicht bloß über eine hohe Intelligenz, sondern auch über eine spezifisch menschliche, was hilfreich sei, wenn es darum ging, Richter zu überzeugen. Das Nonhuman Rights Projekt möchte seine Bemühungen aber nicht auf Non-Homo-sapiens-Menschenaffen wie Schimpansen oder Gorillas beschränken. Elefanten und Wale würden aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten ebenfalls als Kandidaten für rechtlichen Personenstatus in Frage kommen.

Keines der angerufenen New Yorker Gerichte gab den Anträgen statt. Eines immerhin gewährte den Antragstellern eine Stunde lang Gehör. Und die Richter äußerten Verständnis für das Anliegen. Das New Yorker Recht gestattet problemlos Berufungen in Habeas-Corpus-Verfahren – einer der Gründe, warum das Nonhuman Rights Project sich für diesen Staat entschied. Solche wurden eingebracht, der weitere Gang dieser und weiterer Verfahren darf mit Spannung erwartet werden.

Viele der aktuellen und potentiellen Mandanten des Nonhuman Rights Projects – Gorillas, Orang-Utans, Elefanten beispielsweise – weisen neben ihrer hohen Intelligenz eine weitere Gemeinsamkeit auf: Sie sind vom Aussterben bedroht. Selbst ein Erfolg der Bemühungen des Nonhuman Rights Projects würde an dieser Situation wohl nichts unmittelbar ändern. Aber es wäre ein wichtiger Schritt hin zu einem Paradigmenwechsel, dessen alle Tiere bedürfen, die von unserem Handeln betroffen sind – ob es sich nun um Rinder in Schlachthäusern handelt oder um Wale in den Ozeanen. Oder um vier Schimpansen in New York.

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