12. August 2022

Sophie Schönberger

Wie privat ist der Staat an der Spitze?

Um Gerhard Schröder ist es in jüngerer Zeit wieder laut geworden. Nachdem er sich lange Zeit relativ geräuschlos ins Privat- und Geschäftsleben zurückgezogen hatte, sorgten seine persönlichen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen nach Russland seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs an verschiedenen Stellen für öffentlichkeitswirksames Konfliktpotential. Zwar ist das Parteiausschlussverfahren gegen ihn – wenig überraschend – vor dem zuständigen Schiedsgericht erfolglos geblieben. Wirksam geworden ist allerdings ein anderer Ausschluss: Im Mai entschied der Bundestag, das „Altkanzlerbüro“ Schröders, dem bis dahin fünf Mitarbeiterstellen zugewiesen waren, „ruhend“ zu stellen. Offiziell erfolgte diese Entscheidung unabhängig von den Russlandkontakten des Altkanzlers. Zur Begründung verwies die Koalition vielmehr darauf, „dass Bundeskanzler a.D. Schröder keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt mehr wahrnimmt“.

Anders als im Parteiausschlussverfahren, das Schröder für sich entschied, ohne sich überhaupt zu beteiligen oder vertreten zu lassen, wehrt sich der ehemalige Kanzler gegen die Kürzung nun vor dem Verwaltungsgericht. Die Entscheidung sei willkürlich. Schröder sei weder Gelegenheit zur Stellungnahme vor der Entscheidung noch sonst rechtliches Gehör gewährt worden. Das Verfahren müsse jetzt nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt werden.

So wenig Erfolgsaussichten dieses Verfahren haben dürfte, wirft es doch sehr grundlegende Fragen danach auf, welchen Status die Sachleistungen, die den Altkanzlern in Form von ausgestatteten Büros inklusive mehrerer Mitarbeiter*innen bereitgestellt werden, haben und nach welchem rechtlichen Maßstab sie zu beurteilen sind. Sie führt im Kern in den schwierigen Abgrenzungsbereich der persönlichen von der staatlichen Sphäre (ehemaliger) staatlicher Amtsträger, der sich für den Bereich nach dem Ausscheiden aus dem Amt hier noch einmal in besonderer Form entfaltet.

Dabei ist dieser Kern der Abgrenzung im Fall Schröder schon bei der Wahl des richtigen Rechtswegs ausschlaggebend. Insofern stellt sich schon der Gang vor das Verwaltungsgericht als überaus zweifelhaft dar. Denn die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs würde voraussetzen, dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handelt, also um eine Auseinandersetzung, bei der gerade nicht zwei unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte um Rechte aus der Verfassung streiten. Damit ist der Weg zum Verwaltungsgericht nur dann möglich, wenn Schröder seine Ansprüche nicht aus einer etwaigen verfassungsrechtlichen Position als Altkanzler herleiten kann, sondern hier der öffentlichen Hand als Privater gegenübersteht, der durch die Verweigerung der Ausstattung möglicherweise in seinen Rechten verletzt ist. In diese Richtung läuft wohl auch die Argumentation Schröders, wenn er sich insbesondere auf die Verletzung seines rechtlichen Gehörs sowie eines rechtsstaatlichen Verfahrens beruft.

Genau umgekehrt läuft aber in der Sache die Argumentation des Bundestages. Er stellt sich in der Sache auf den Standpunkt, dass die Altkanzlerbüros nur für fortwirkende Verpflichtungen aus dem Amt bereitgestellt werden – so sind sie tatsächlich auch historisch konzipiert. Wenn Schröder diese amtlichen, und das heißt in der Sache wohl: verfassungsrechtlichen Aufgaben nicht mehr wahrnehme, dann stehe ihm eben auch kein Büro mehr zu. Dieser Standpunkt ist insofern konsequent, als die Überlassung von Mitarbeiter*innen, Büroräumen und sonstigen Sachleistungen innerhalb der Strukturen der öffentlichen Verwaltung an eine Privatperson nichts anderes als rechtswidrig wäre. Denn Ausgaben aus dem Bundeshaushalt dürfen gem. § 6 BHO überhaupt nur für Aufgaben des Bundes (und eben nicht für Privatangelegenheiten ehemaliger Amtsträger) geleistet werden. Man kann diesen Gedanken auch verfassungsrechtlich in Art. 104a Abs. 1 GG, dem Demokratieprinzip oder dem allgemeinen Gleichheitssatz verorten. Er beschreibt im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Dass in der Vergangenheit diese Maßstäbe in Bezug auf die Altkanzler in großem Umfang missachtet wurden, ja die Vermischung mit dem Privatleben so weit ging, dass die Altkanzlerbüros nicht nur auch für die Ehefrauen der ehemaligen Amtsinhaber arbeiteten, sondern in einem Fall sogar zeitweise von einer Ehefrau geleitet wurden, spielt hier dabei keine Rolle. Eine Gleichbehandlung im Unrecht oder rechtsstaatliche Anforderungen an ein rechtswidriges Verfahren gibt es nicht. Es zeigt sich insofern nur, dass eine Überprüfung, zu der nach dem Bundesrechnungshof nun auch der Haushaltsausschuss die Bundesregierung aufgefordert hat, mehr als überfällig ist.

Sollte es sich bei den Altkanzlerbüros daher um Leistungen an die Privatperson handeln, so wäre zwar der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, die Klage aber offensichtlich unbegründet. Eine gerichtliche Überprüfung wäre daher allenfalls durch das Bundesverfassungsgericht im Wege eines Organstreitverfahrens möglich. Voraussetzung dafür wäre, dass man die Stellung als „Alt-Kanzler“ als eine Art nachwirkende Verfassungsstellung begriffe, in die durch die Versagung einer entsprechenden Amtsausstattung eingegriffen worden sein könnte. Ob dies verfassungsrechtlich haltbar ist, müsste eine Karlsruher Entscheidung zeigen. Weder in der bisherigen Rechtsprechung noch in der Literatur sind dazu bisher auch nur Ansätze einer Konzeption erkennbar. Der konkrete Rechtsstreit mit Gerhard Schröder würde sich dann wiederum auf die Frage verlagern, ob (und ggf. wie lange) er tatsächlich nachwirkende Amtspflichten mit seinem Büro wahrnehmen will, darf und muss. Die Abgrenzungsfragen zwischen Amt und Person, die zuletzt in der Merkel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Mittelpunkt standen, würden sich hier auf einer völlig neuen Ebene stellen. Die Erfolgsaussichten für Gerhard Schröder dürften gleichwohl auch hier denkbar gering sein.

Gerade in Bezug auf die höchsten Staatsämter tut sich die Staatspraxis der Bundesrepublik (und auch diejenige anderer Länder) an vielen Stellen überaus schwer, die demokratische Unterscheidung zwischen dem Amt, das von einer Person ausgefüllt wird, und der Person, die zumindest in der öffentlichen (und wohl oft auch in der individuellen) Wahrnehmung mit dem Amt teilweise verschmilzt, in geordnete Bahnen zu lenken. Die rechtlich völlig ungeregelten und in der Praxis wohl auch bisher keinerlei effektiver Kontrolle unterliegenden Altkanzlerbüros sind dafür genauso ein Beispiel wie die bisherige Übung, die scheidenden Kanzler relativ freihändig darüber entscheiden lassen, welche Akten aus dem Kanzleramt sie im Amt belassen, welche sie in ihren Privatbesitz übernehmen und welche sie der ihrer Partei nahestehenden politischen Stiftung übergeben. Auch die nicht nur politisch geduldete, sondern sogar erwartete Einbindung der Ehefrauen der bisherigen Bundespräsidenten in die Amtsführung des Staatsoberhaupts gehört in diese Reihe. Am Ende mögen hier immer noch aus der langen monarchischem Epoche überkommene Vorstellungen davon mitschwingen, dass an der Spitze des Staates eben nicht ein Amt, sondern eine Person diese besondere Form von Einheit verkörpert, die dem Ideal des Nationalstaats klassischer Prägung zugrunde liegt. Auch wenn der Fall Schröder vor Gericht eine Klärung nicht verlangen wird, sollte er doch Anstoß dafür sein, diesen Vorstellungen in Verfassungsrecht und Staatsrecht einmal systematisch auf den Grund zu gehen.

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