Zur Einstimmung in die Causa Brender ein Zitat aus dem Lebach-Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
Die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Rundfunkfreiheit) ist ebenso wie die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (…)
Dass Koch und Merkel offenbar völlig egal ist, was Karlsruhe da von „schlechthin konstituierend“ schwatzt, ist schon ein Vorgang. Die Verfassungsrichter lecken sich vermutlich schon die Lippen. Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Ersten Senats, hat schon im März angedeutet, dass er die parteipolitische Besetzung des ZDF-Verwaltungsrats für problematisch hält.
Aber fraglich ist nicht nur, wie das Ding überhaupt nach Karlsruhe kommen soll, wenn weder ZDF noch Brender klagen. Fraglich ist vor allem auch, was die Verfassungsrichter im Erfolgsfall damit anfangen.
Noch weit vor der Parteienfinanzierung ist die Rundfunkordnung die wohl am gründlichsten verfassungsrichterlich durchgekaute Materie; nicht weniger als 13 Rundfunkurteile zählt die Karlsruher Chronik. Der Grund dafür wurde im 1. Rundfunkurteil von 1961 gelegt, der höchst verdienstvollen Entscheidung, Konrad Adenauer sein schönes Regierungsfernsehen zu verbieten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so das Gericht, müsse vor dem Zugriff der Politik geschützt werden, und das gelingt am besten, indem man ihn der Obhut der Gesellschaft insgesamt anvertraut:
Art. 5 GG verlangt jedenfalls, daß dieses moderne Instrument der Meinungsbildung weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird. Die Veranstalter von Rundfunkdarbietungen müssen also so organisiert werden, daß alle in Betracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluß haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen können, und daß für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich sind, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten.
Die „Gesellschaft“ kann aber in keinem Gremium Platz nehmen. Deshalb empfahl das BVerfG, die Aufsichtsräte mit jenen „Repräsentanten aller bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen“ zu bestücken, den Kirchen-, Gewerkschafts- und Kulturfritzen, die seither die Rundfunkräte bevölkern. Das mag im Zeitalter des Korporatismus in den 60ern noch plausibel gewesen sein. Heute nicht mehr. Gesellschaftliche Repräsentanz lässt sich nicht mehr herstellen, indem man Verbandsfunktionäre entsendet.
Insofern hat Koch schon einen Punkt, wenn er sagt, da seien gewählte Politiker doch immer noch eher legitimiert, den Rundfunk zu beaufsichtigen, als irgendein Bischof. Was will Karlsruhe, wenn es denn zu einer Überprüfung kommt, dem entgegenhalten?
Andererseits kann es auch nicht sein, dass wir nach einer Schleife von fast fünfzig Jahren genau wieder an der Stelle herauskommt, wo Adenauer einst aufgehört hat. Auch wenn dem „Westentaschen-Berlusconi aus Hessen“ (SpOn) vielleicht genau diese Vorstellung besonders gut gefällt…
Eine Folge von 13 Rundfunkurteilen ist auch, dass sich zu dieser Rechtsmaterie eigentlich nur noch ausgewiesene Spezialisten kompetent äußern können. Aber eine kleine Beobachtung will ich hier mal anstellen: Im 1. Rundfunkurteil begründet das BVerfG die Rundfunkaufsicht durch Vertreter gesellschaftlicher Gruppen als einen von mehreren möglichen Wegen, der „Sondersituation“ des Rundfunks gegenüber der Presse generell gerecht zu werden. Die besteht darin, dass anders als Zeitungen der Rundfunk so viel Investitionen nötig sind, dass die Medienkonzentration sich sozusagen aus der Technologie ergibt. Das ist nun auch ein Gesichtspunkt, der 1961 sehr viel zwingender erschien als heute.
Vielleicht ist es Zeit, in punkto öffentlich-rechtlicher Rundfunk über radikale Schritte nachzudenken. Wer soll diese Überlegungen anstellen, wenn nicht das Bundesverfassungsgericht? Robin Meyer-Lucht meint, das Gericht werde, selbst parteipolitisch zusammengesetzt, den Mut nicht aufbringen, den Parteien die Herrschaft über den Rundfunk zu entreißen. Wenn er sich da mal nicht täuscht.
Update: Kollege Christian Rath korrigiert mich zu Recht: Voßkuhle sitzt nicht dem Ersten, sondern natürlich dem (unzuständigen) Zweiten Senat vor. Bitte die Synapsenfehlschaltung zu entschuldigen.