Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt zwei Tage über die körperlichen Fixierung von Personen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Eine Verfassungsbeschwerde betrifft die Fixierung in einer bayerischen Psychiatrie und die Verweigerung von Schadensersatz und Schmerzensgeld für die erlittenen Verletzungen. Die andere Verfassungsbeschwerde gilt der Fixierung eines Untergebrachten in einer psychiatrischen Einrichtung in Baden-Württemberg.
Gestützt wurden die Maßnahmen jeweils auf Landesgesetze, die sehr unterschiedlich gestaltet sind: Das bayerische Unterbringungsgesetz enthält lediglich eine Regelung über die Anwendung unmittelbaren Zwangs (Art. 19). Das baden-württembergische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG) sieht die Fixierung in § 25 als besondere Sicherungsmaßnahme vor (vgl. zur Begründung LT-Drs. 15/5521 vom 22.7.2014, S. 65 ff.). Diese Regelung zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass die Zwecke der Maßnahme konkretisiert werden: Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn und solange eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die Sicherheit in der anerkannten Einrichtung besteht; dazu gehören die erhebliche Selbstgefährdung und die Gefährdung bedeutender Rechtsgüter Dritter. Zudem bedarf die Maßnahme ausdrücklich einer ärztlichen Anordnung; sie ist zu begründen, zu dokumentieren und in ein Melderegister aufzunehmen. Weiterhin ist die „unmittelbare, persönliche und in der Regel ständige Begleitung sicherzustellen“. Berücksichtigt man zudem, dass mit dem PsychKHG neben dem Melderegister auch eine Ombudsstelle eingerichtet wurde, wird deutlich, dass die gesetzliche Regelung der Maßnahme differenziert und prozedural abgesichert ist. Einzig eine (erneute) richterliche Entscheidung, wie sie für die zwangsweise Unterbringung vorgesehen ist, wird nicht angefordert.
Insgesamt ist die baden-württembergische Regelung trotzdem als substantiierter Versuch anzusehen, die Maßnahme der Fixierung als ultima ratio zur Verfügung zu stellen. Dabei musste berücksichtigt werden, dass dadurch eine Freiheitsbeschränkung innerhalb einer Freiheitsentziehung ermöglicht wird, die abstrakt und konkret an Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG zu messen ist, und aus der Perspektive des Menschenrechtsschutzes im Mehrebenensystem auch an Art. 5 und Art. 3 EMRK. Angesichts der Intensität der Maßnahme ist es nachvollziehbar, dass auf die Menschenwürde Bezug genommen wird; gleichwohl ist die Menschenwürde der Wert, der „den rechtsgelehrten Skrupulanten schreckt (und) [….] den unbedenklichen Vertreter der Popularjurisprudenz (lockt)“ (Josef Isensee). Jedenfalls nimmt die Fixierung an Bauch, Brust, Armen, Beinen und Stirn über mehrere Stunden einer Person die Freiheit, die ihr auch in einer geschlossenen Einrichtung zukommt – sie ist nicht als beliebige Minusmaßnahme durch die Einweisung in die Einrichtung gedeckt, und die untergebrachte Person gibt ihre Grundrechte im Übrigen auch nicht an der Pforte ab. Die Fixierung ist in ihrer Intensität nur mit wenigen anderen Maßnahmen vergleichbar, etwa der Zwangsernährung und der Zwangsmedikation (vgl. BVerfG, NJW 2017, 2982), deren Zulassung der Staat und deren Durchführung die jeweilige Einrichtung jeweils als letzte Mittel sehr genau prüfen und begleiten muss.
Gerade in der Anwendung der Maßnahme im Einzelfall muss sich die Regelung bewähren: Anordnung und Durchführung müssen verhältnismäßig sein. Es muss tatsächlich die Gefährdung eines qualifizierten Rechtsguts angenommen werden dürfen, die Maßnahme darf nicht etwa zur Disziplinierung des Patienten oder gar anderer Patienten durchgeführt werden. Ein milderes Mittel wie ein Gespräch zur Deeskalation oder die Isolierung in einem Raum darf nicht gleich geeignet sein. Dabei kann sich keine Stelle darauf zurückziehen, dass zu wenig Personal zur Verfügung stehe oder dass die räumlichen Verhältnisse nicht ausreichten. Etwaige systematische Mangelverwaltung, die sich wegen knapper Mittel und strenger Haushaltsdisziplin entwickelt hat und geduldet wird, darf nicht als Rechtfertigung für grundrechtsintensive Maßnahmen herangezogen werden. Nicht zuletzt ist der Spielraum bei der Prüfung der Angemessenheit einer solch intensiven Maßnahme beschränkt: Die Gestaltung und die zeitliche Dauer belasten die betroffene Person schwer, ohne dass damit ein Therapieerfolg hergestellt werden könnte. Der unabdingbare Zweck, das behandelnde Personal und Dritte vor einer Person zu schützen, die bereit und fähig ist, Verletzungen herbeizuführen, ist dabei ständig und genauso zu berücksichtigen wie die Verpflichtung, andere Maßnahmen zu ergreifen, sobald diese möglich sind.
Rechtsstaatlichkeit und Durchschlagskraft der Grundrechte zeigen sich gerade dort, wo beurteilt werden muss, wie mit Menschen in jedem Einzelfall und oft hinter verschlossenen Türen umgegangen wird. Die Sicherungsverwahrung (BVerfGE 109, 133 – Sicherungsverwahrung; BVerfGE 130, 76 – Vitos Haina) und der besonders gesicherte Haftraum (vgl. auch BVerfG NJW 2015, 2100) waren insoweit auch schon durch das Gericht zu beurteilen gewesen, nicht immer ohne Widerspruch seitens des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, NJW 2011, 3423; EGMR, NJW 2012, 2173; vgl. auch BVerfGE 128, 326). Der Senat öffnet nun erneut die Tür zu einer Einrichtung und gibt der Problematik und den an ihr beteiligten Personen Raum und Zeit. Es wird nicht die letzte Gelegenheit sein, denn auch in Pflegeheimen ist die Fixierung eine Maßnahme, die sich niemand wünscht, die aber im Einsatz ist (vgl. BVerfG, NJW-RR 2016, 93; BGHZ 163, 53). Freibriefe stellt der Senat sicher nicht aus.